Status quo – der „Zuckerfrei“-Plan
Low carb ja oder nein, ist für mich eigentlich keine Frage mehr. Zu einer Kohlenhydrat-armen Ernährung habe ich bereits vor meiner Adipositas-OP gefunden. Es war ein Beitrag eines Morbus Crohn-Patienten, der sich über die positive Wirkung einer Kohlenhydrate-armen Ernährung auf seine Gesundheit geäußert hat.
Da ich mich zu dem Zeitpunkt in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand befand, konnte ich eigentlich nur gewinnen, wenn ich es ausprobieren würde. Tatsächlich hat sich nicht nur mein Wohlbefinden innerhalb weniger Tage deutlich verbessert, ich habe auch sofort angefangen Gewicht zu verlieren.
Haushaltszucker, Brot, Kartoffeln und Nudeln waren damit für mich raus. Auch in den Jahren, die folgen würden, bin ich nie wieder zu Haushaltszucker oder auch nur annähernd zu den Kohlenhydrat-Mengen von damals zurückgekehrt. Und gerade, weil ich Haushaltszucker mied, fand ich, ich hätte das Prädikat „zuckerfrei“ damit ausreichend verdient.
Mittlerweile ist mir jedoch klar geworden, dass das nicht so einfach mit „ich esse keinen Haushaltszucker“ gleichzusetzen ist. Heute bedeutet „zuckerfrei“ für mich etwas anderes.
Zuckerfrei?
Im Laufe des Jahres 2020, in dem ich mich erneut einer strikteren low carberen Ernährung zugewandt hatte, nahm ich immer weiter zu, konnte dem Snacken zwischen den Mahlzeiten einfach keinen Einhalt gebieten und die Finger nicht von den low carb Mandelmuffins lassen, die ich mit solcher Inbrunst gebacken habe. Zwar nahm ich immer noch für mich in Beschlag „zuckerfrei“ zu sein, doch der Eindruck, dass da etwas nicht zusammenpasst, begann sich zu verstärken.
Wie so oft wird einem erst klar, dass man ein Problem hat, wenn man versucht etwas daran zu ändern. Mir ging es so mit den low carb Muffins, die ich im letzten Jahr praktisch in Serie produziert habe, um sie dann auch in Serie zu verschlingen. Also habe ich versucht weniger low carb Muffins zu backen. Und mich doch immer wieder dabei erwischt. Egal wie sehr ich mich bemüht habe meinen Muffin-Konsum einzuschränken, ich bin nicht dagegen angekommen.
Wie kann so etwas sein, wenn man sich doch vornimmt keine zu backen und trotzdem immer wieder die gemahlenen Mandeln in den Einkaufswagen packt, sich an der Rührschüssel wiederfindet und den Ofen bereits vorgeheizt hat? Wie ferngesteuert, wie fremdbestimmt.
Sicher, ich bin in Diskussionen immer wieder zum Thema low carb Nachbauten gewarnt worden, aber am Erythrit kann es doch nicht liegen, oder? Null Kalorien, Null Blutzucker und so. Und überhaupt, wenn ich damit aufhören will, dann kann ich das jeder Zeit, oder etwa nicht?
Mich beschlich das Gefühl, dass ich mitnichten „zuckerfrei“ war, denn an meiner Sucht nach Süße in meinem Leben hatte sich nichts geändert. Ich hatte eine Zucker-Sucht mit einer Erythrit-Sucht ausgetauscht. Und gemahlene Nüsse, die Basis all meiner Bäckereien, erschienen mir auch nicht mehr so harmlos.
Das was ich so bequem als „zuckerfrei“ bezeichnet hatte, konnte also nur die halbe Wahrheit sein, die „Süße“ war es, die gänzlich aus meinem Leben verschwinden muss. Neben einigen anderen Dingen.
mein Lösungsansatz
Ergo, keine süßen Nachbauten mehr. Keine Süße im Tee, in Getränken, im Keto-Porridge oder in Supplementen. Wieder sehr genau hinschauen, wenn es um Zutatenlisten von Fertigprodukten geht; für mich betrifft das vor allem Wurstwaren, tiefgekühlte Gemüse-Mischungen, Milchprodukte und Gewürze.
Ich trinke Wasser, halte mich an Lebensmittel ohne Zutatenliste und würze mit Salz, Pfeffer und frischen Kräuter. Ich halte mich an Mahlzeiten, die eine Proteinquelle beinhalten, gebe etwas grünes Gemüse zu und einen Fettanteil, wie Avocado, Butter oder Käse.
Kein Kalorienzählen, regelmäßige Mahlzeiten (mehr dazu gibt es im Beitrag: Status quo – der „4 Mahlzeiten, keine Snacks“-Plan) und satt essen. Wie schwer bitte kann das sein, unter diesen Voraussetzungen auf Süße zu verzichten?
die Umsetzung
Ganz nach dem Motto, wer will findet Wege, wer nicht will, der findet Gründe, muss ich mir nun immer wieder dabei zusehen, wie ich mich selber sabotiere. Ich bin motiviert und es geht mir gut mit meinem Plan, trotzdem wandern immer wieder Milchprodukte in meinen Einkaufswagen. Ich rede mir ein, damit noch zu experimentieren, ob oder ob sie nicht in meinem Ernährungsplan bleiben. Doch findet immer ein Päckchen Quark seinen Weg in meinen Kühlschrank.
Als hartnäckig hat sich auch meine Lieblingsschokolade (mit über 80% Kakaoanteil) erwiesen. Ich habe mich dabei erlebt, dass ich sie mir bereits 2mal im Doppelpack! nachgekauft habe, während „Gönn-dir-was“ laut in meinem Kopf gedröhnt hat.
Ebenso wie ich ganze Nüsse erneut nachgekauft habe. Letztere gehören technisch zwar nicht in die Sparte „Süße“, ich neige jedoch dazu zum Stück Schokolade auch immer zu einer Nuss zu greifen. Auch Mandelmus habe ich jüngst wieder aus dem Supermarkt mitgebracht; weil‘s so gut als Topping auf Keto-Porridge schmeckt. Und wären die Beeren nicht auch lecker im Quark? Heja Feigen – ist doch jetzt Saison! etc. pp.
Manche Tage habe ich das Gefühl gegen Windmühlen zu kämpfen und die Verführungen scheinen übermächtig. Ich habe das Gefühl, dass mit meinem Entschluss „zuckerfrei“ zu werden Bäckereiauslagen und Süßigkeiten-Regalen wieder deutlich an Attraktivität für mich gewonnen haben. Und das irritiert und wurmt mich ungemein, zeigt mir aber auch wie weit es mit meiner Sucht nach Süßem gekommen ist.
Ich empfinde diesen Kampf als unheimlich ermüdend und ich verstehe so langsam, warum die Food Addiction-Gruppen unbedingt zu einem „Buddy“ zur Unterstützung raten, der dieselben Probleme und Ziele hat.
Es wird also ein langer Weg werden. Einer der Geduld und Ausdauer braucht und einen verständnisvollen und freundlichen Umgang mit mir selber. Themen, die nicht gerade zu meinen Stärken gehören oder mit denen ich bisher gute Erfahrung habe machen können. Ich wird dann mal „zuckerfrei“ klingt so schön einfach, ist es aber leider nicht.
Ich bin es mir wert.
Einen Tag nach dem anderen.
Tag für Tag.
Nur für heute.