Trigger-Food
Angeregt durch die Lektüre von Dr. Vera Tarmans „Food Junkies“ habe ich angefangen über die Lebensmittel und Situationen nachzudenken, die mich aktuell, und in der Vergangenheit, dazu verleiten zu überessen oder dazu ständig, bzw. in sehr kurzen Abständen etwas essen zu müssen. Lebensmittel und Situationen, die in mir einen so rasenden Hunger auslösen, dass er einfach nicht mehr gestillt werden kann.
Bei Vera Tarman habe ich auch gelesen, dass ich dabei die emotionalen Auslöser abgrenzen muss: Gefühle, mit denen ich nicht anders umzugehen weiß als sie in mich hineinzustopfen und mit Essen und Völle zu beruhigen. Dafür braucht es keine Trigger-Foods, dazu passt für mich ich alles was ich Kauen und runterschlucken kann. Nutze ich in der Folge jedoch bestimmte Nahrungsmittel, um mich zu beruhigen, und das bleibt selten aus, fachen diese meine Sucht an.
Und so beschreibt es auch die Autorin. Sie unterscheidet grundsätzlich zwischen den Essstörungen (wie Magersucht, Bulimie oder Binge Eating Disorder) und einer Esssucht (Food Addiction). Dabei macht sie jedoch auch klar, dass das die Übergänge fließend sind und das eine oft mit dem anderen verbunden oder vermischt ist – so wie ich das auch für mich erfahren habe.
Die Schulmedizin (wir medikamentieren oder operieren), die Psychologie (wir therapieren zugrunde liegende Probleme) und die Ernährungsberatung (wir lehren alles zu essen, aber in Moderation) adressieren bisher vor allem Essstörungen und streiten zu weiten Teilen die Verbindung von Sucht und Essen. Nach Tarman ist das jedoch genau das Problem, welches die Erfolgsrate schwächt und all die Übersieht, die eine Abhängigkeit zur Droge ihrer Wahl entwickelt haben. Die oben erwähnten Interventionen sind, so Tarman, hervorragend dazu geeignet, um Essstörungen zu behandeln. Esssucht jedoch, wie jede Sucht, verlangt als Grundlage Abstinenz vom Suchtstoff.
Ich habe mich nie als Bingeeater, Bulimiker oder Magersüchtiger gesehen. Rückblickend betrachtet gab es jedoch Phasen, in denen ich mich dem einen oder anderen zuordnen kann. Etwa die Zeit, als ich mich versucht habe zu erbrechen, um mein stetig ansteigendes Gewicht zu kontrollieren, exzessiv Abführmittel genutzt habe, gefastet bis mir schwarz vor Augen wurde oder versucht habe meiner Familie heimlich extra Kalorien zuzuführen.
Doch über alldem, stand meine Obsession meine Ernährung zu kontrollieren, Kalorien, Punkte, Fettaugen usw. zu zählen, sich exzessiv zu wiegen und in auslaugenden Sporteinheiten zu ergeben, sowie der rasende Hunger, der mich schon mein Leben ganzes Leben lang begleitet. Von dem Moment an, von dem ich aufgewacht bin, zu hin zur seligen Erlösung im Schlaf haben sich meine Gedanken mit Mahlzeiten, Lebensmitteln und ihrer Bevorratung beschäftigt. Ich habe Diätpläne geschmiedet, mir Restriktionen ausgedacht und Maßnahmen ersonnen, die ich als Strafe für mein Essen und meine ständigen Gedanken ans Essen einsetzten könnte. Ich habe mich mehrmals täglich auf die Waage gestellt und bin meinen Anblick im Spiegel mit Hass begegnet.
Das erste Mal, dass ich davon Erlösung erfahren habe, war in den ersten zwei Jahren nach der Adipositas-OP. Heute vermutet ich, dass das auch an der Kombination mit meiner damaligen low carb-Ernährung lag, die einen Gutteil meiner Trigger aus meiner Ernährung ferngehalten hat.
Der Nachklang der Adipositas-OP und low carb haben für mich extrem gut funktioniert. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Wirkung der OP verloren hat und sich meine Trigger wieder eingeschlichen haben. Ich war damals der Meinung „über den Berg zu sein“ und „geheilt, weil ich, doch nun weiß was zu tun ist“. Heute ist mir klar, dass das so nicht funktioniert. Doch das erkenne ich erst langsam, seit ich das erste Mal in meinem Leben tatsächlich dabei bin meine Trigger zu ermitteln und der Reihe nach auszuschließen.
Tarman schreibt, dass sich als Ess-Süchtiger zu bezeichnen, keine Opferhaltung ist, kein sich in Verzweiflung suhlen, sondern eine Erinnerung daran, dass wir unserem Verlangen, wenn es einmal getriggert ist, machtlos gegenüberstehen. Verlangen sei größer als unsere Intelligenz, unser Wissen und unser Wille. Unsere Aufgabe sei es die Trigger zu beseitigen und zu verhindern, dass wir einen ersten Bissen davon zu uns nehmen. Sie warnt, dass die Impulse dazu immer da sein werden und einmal ein „cheat“ angefangen, kann er Jahre dauern; eine Erfahrung, die ich bestätigen kann.
Nehme ich meinen emotionalen Hunger in die Gleichung mit auf, so verstehe ich, dass Ess-Sucht und seine Trigger keine „Entschuldigung“ für alles sind, aber eine Erklärung für manches. Doch ich habe nun verstanden, dass ich zuerst die Trigger ausschalten muss um mit der neugefundenen Klarheit (durch Abstinenz) im Kopf – und ich dachte wirklich, dass mehr Klarheit im Kopf gar nicht möglich sein kann, als die die mir low carb bereits beschert hat – nun auch meine Probleme deutlicher erkennen und mit einer bisher unbekannten Zielstrebigkeit angehen kann.
Unabhängig vom jüngst Gelesen habe bereits seit einiger Zeit mit dem „Detox“ angefangen, wie Tarman ihn beschreibt. Als von ihren Patienten als bedeutende Trigger beschrieben, hat sie dazu folgende Lebensmittel aufgeführt:
- alle Lebensmittel, die raffinierte, natürliche oder künstliche Süße enthalten
- alle industriell (hoch) verarbeiteten Lebensmittel (im Sinne von Fertigprodukten, convenience food)
- Früchte, allgemein
- alle stärkehaltigen Gemüse (wie Mais, Erbsen oder Kartoffel)
- Milchprodukte
- alle Weizen und Weizenprodukte
Meine persönliche Liste führt bisher folgende Trigger auf:
- Buffets oder eine große Auswahl an Essen auf einem Tisch
- Mahlzeiten bewusst vor mir herschieben, untermauert mit dem Glaubenssatz: es noch nicht „verdient“ zu haben zu essen
- übertriebene Sporteinheiten (die mit der Intension gestartet wurden, überschüssige Kalorien auszumerzen)
- andere etwas Essen sehen
- Rohkost
- breiige (gesüßte) Mahlzeiten, wie Haferflockenporridge oder eingeweichtes Müsli
- (gesüßte) Milchprodukte, wie Quark, Joghurt, Pudding oder Eis
- getrocknete Früchte, wie Rosinen, Feigen oder Datteln
- alle Nussmuse oder (gesüßte) Nuss-, Vanille-, Milch- oder Kokoscremes
- alle Lebensmittel, die raffinierte, natürliche oder künstliche Süße enthalten
- paniertes und frittiertes, wie Pommes, Schnitzel oder Backcamembert
- Kartoffeln, sowie einzelne stärkehaltige Gemüse
- alle Weizen und Weizenprodukte
Ich bin Esssüchtig. Das klingt ganz nach der Dramaqueen, für die man mich immer angeklagt hat. Für mich persönlich ist diese Erkenntnis jedoch die pure Erleichterung. Genauso wie damals meine Morbus Crohn Diagnose, die so viel mehr Sinn für mich ergeben hat, als das „ist eben psychosomatisch, kann man nichts machen“, dass mir bis dato stets begegnet war und dass ich willig angefangen hatte zu glauben.
Die letzten Wochen und die Lektüre von Tarmans Buch waren sehr anstrengend. Detox ist nie einfach. Doch „Ich bin suchtkrank“ hat mich endlich von Schuld und Versagen befreit und mir den Weg bereitet Verantwortung übernehmen zu können. Hier meine Rezension zum Buch „Food Junkies„.
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