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Gefühl vs Verstand

Ich bin und war schon immer ein Meister darin mich selber zu täuschen oder mir Sachen einzureden, die so gar nicht der (objektiven) Wahrheit entsprachen. Ganz besonders stark tritt dies hervor wenn es um mein eigenes Körperbild geht.

So konnte ich schon immer sehr gut mein eigenes (Über-)Gewicht „übersehen“ und der alltägliche Blick in den Spiegel war für mich nie so dramatisch. Anders als bei Fotos, die gnadenlose (und immer wieder erschreckende) Momentaufnahmen waren, hatte man die Chance verpasst sich auf dem Motiv hinter anderen zu verstecken.

Interessant aber ist, dass sich mein subjektives Körperbild, auch nach den nun 65 verlorenen Kilos, nach wie vor nicht dem tatsächlichen Zustand angepasst. Dabei müsste ich es doch genießen, da sich die Waage nun endlich in die richtige Richtung bewegt. Müsste jedes verlorene Gramm feiern und bewundern – doch oft macht es mir schlicht Angst.

Denn in meinem Kopf bin ich immer noch die, die ich die letzten 20 Jahre war. Gefühlt nehme ich immer noch denselben Platz ein, obwohl ich tatsächlich nun viel weniger brauche.

Keine Frage mit 125 kg bin ich immer noch stark übergewichtig. Zudem habe ich nicht die finanziellen Mittel, jedes verlorene Kilo, mit einer neuen Ausstattung an perfekt sitzender Kleidung zu begleiten, sodass ich im Moment, in der Regel, Kleidung trage, die mir schlicht 4 Größen zu groß ist.

Ich sehe mich also im Moment tatsächlich in wallender Kleidung, die meinen dünner gewordenen Körper zu großen Teilen verdeckt.

Manche Tage kann ich über diese Diskrepanz von „ist“ und „sein“ lachen, meist jedoch bin ich einfach nur verwundert – bis irritiert (denn diese Gefühle sind nicht immer nur positiver Natur, sondern auch von starker Verunsicherung geprägt).

Verwundert darüber, dass auf einem Trainingsgerät im Fitnesscenter nun Platz ist, dass ich ganz einfach an Haltegriffe komme, auf dem Autositz und im Sessel rechts und links beinahe eine Handbreit Platz habe. Mich verwundert es, dass ich in der Laufbewegung, nicht mehr mit der Innenseite meiner Unterarme an meiner speckigen Hüften reibe und mich nicht mehr quer durch den schmalen Gang zwischen Wand und Badewanne quetschen muss.

Ich schaue irritiert den Platz zwischen Autositz und Lenkrad an, der riesig scheint und wundere mich wie nah mit einem Mal der Stuhl am Tisch steht. Ich setzte mich in Wartezimmer auf Stühle mit Lehnen und wenn ich aufstehe „klebt“ der Stuhl nicht wie erwartet an meinem Hintern. Und wenn sich im Bus jemand neben mich setzt, rücke ich zwar nach wie vor automatisch Richtung Gang, um den Platz den ich brauchte auszugleichen, bis ich verwundert feststellen muss, dass das ja gar nicht mehr notwendig ist.

Um mir selber meinen veränderten Körper näherzubringen, habe ich – zunächst unbewusst, nun bewusst – damit angefangen z.B. die Hände zu falten, nur um zu spüren wie viel dünner meine Finger geworden sind. Mit verschränkten Armen da sitzen, um zu begreifen, wie anders sich nun meine Arme anfühlen, mein Schlüsselbein abzutasten, um mich der Konturen, die vorher nicht da waren, zu versichern oder meine Hände flach rechts und links an meinen geschmolzenen Rettungsring zu legen, um zu spüren, wie viel weniger „Ring“ dort ist.

Das mag ein kleiner Beitrag dazu sein ein neues Körperbild zu formen, doch frage ich mich nun, wie lange es dauern wird, bis man sich daran gewöhnt dünner zu sein? Wird das überhaupt gelingen? Und was für Auswirkungen hat das womöglich (auf mein zukünftiges Gewicht), wenn es das nicht tut? Schließlich hatte mein „dickes“ Gedächtnis locker 20 Jahre Zeit sich festzusetzten.

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