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Ein pipifeiner Ernährungsplan

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... oder du musst etwas ändern wollen, um etwas zu verändern.

Am Wochenende hat mich eine Freundin besucht die unmittelbar vor ihrer Adipositas OP steht. Meine Freundin hat nicht nur eine lange Adipositas-Vorgeschichte (sie hat aktuell einen BMI von über 50) und Binge eating Tendenzen, sondern auch eine problematische Erfahrung mit einem Magenband, das ihren Magen geschädigt hat. Verständlicherweise ist ihr die Entscheidung für einen weiteren Eingriff nicht einfach gefallen. Umso mehr möchte sie mit der kommenden Operation alles richtig machen und hat mich deswegen um Rat gefragt.

Natürlich kennt sie meine Einstellung zur low carb Ernährung und zu Zucker-, Lebensmittel- und Ess-Sucht. Und ihr ist auch bewusst, dass sie ein Problem mit Zucker und Weißmehl Produkten hat. Sie zieht süßes Gebäck allem anderen vor und kann einmal angefangen nicht wieder aufhören. Sie leidet, hat Schmerzen, schlechte Blutwerte, ist depressiv und muss dringend an Gewicht verlieren und doch kann sie, trotz meiner vollen Unterstützung, nicht loslassen und in eine low carbe Ernährung einsteigen.

Und ich kann das nachvollziehen. Weil ich auch einmal so war. Lebensstiländerungen muss man wollen. Man muss bereit sein, Dinge wegzulassen, die einen krank gemacht haben. Doch Veränderungen machen uns Angst. Und so stellt sich mir die Frage, wie ich ihr meine Erfahrung vermitteln soll, wo sie doch auch bei mir so viele Jahre gebraucht hat, um in 100 kleinen Schritten, immer wieder vor und zurück, bei mir anzukommen.

Auch ich habe meine Probleme outsourced: Wassereinlagerungen, Medikamente, wie Kortison oder die AntiBabyPille, Schilddrüse, Fettstoffwechselstörung, schwere Knochen, erbliche Vorbelastung. Ich habe die „the poor me“-Karte voll ausgespielt. Vielleicht erschreckt mich deswegen heute der, nach wie vor unerschütterliche Glaube meiner Freundin (der auch einst mein eigener war), dass es „externe Dinge“, wie Medikamente (zum Abnehmen), Ernährungs- oder Bewegungspläne oder auch eine Adipositas OP, schon richten werden. Ja, meine Adipositas OP hat mich zum Besseren verändern und dafür bin ich unendlich dankbar. Mich ändern, konnte sie jedoch nicht.

Ich bin längst noch nicht dort angelangt, wohin ich will, doch ich habe heute verstanden, dass der wahre Grund für meine vielen Ausreden eine Kohlenhydrat-, bzw. eine Lebensmittel- oder Ess-Sucht (Food Addiction) war. Und um diese Sucht endgültig zu bekämpfen, das weiß ich heute, reicht es nicht alleine, die Kohlenhydrate rauszulassen, sondern ich muss das auch mit meinen Gefühlen tun. Gefühle rauslassen, die ich, solange ich denken kann, stets in mich hineingefressen habe. Die Grundlage dafür muss jedoch über die Ernährung kommen. Denn erst, wenn Ruhe in meinem Kopf herrscht und der Schrei nach Essen verklungen ist, kann ich mich um alles andere kümmern.

Meine Freundin hat also gemacht, was sie immer macht, sie ist zu einer Ernährungsberatung gegangen. Zum gefühlt 1000stenden Mal. Bei unserem letzten Treffen hat sie mir dann ihren neuen Ernährungsplan gezeigt. Ein Ernährungsplan, der, dass muss ich wirklich anerkennen, sehr umsichtig und auf sie zugeschnitten zusammengestellt wurde. Doch ein Blick darauf und mir war sofort klar, dass meine Freundin damit keine 2 Tage zurechtkommt, bevor sie die Zuckersucht in die nächste Bäckerei treibt. Tatsächlich hat sie auch noch keine Anstalten gemacht, sich dem Plan zu näher oder ihn auszuprobieren.

Doch zurück zum Plan: es war die Spitze des Eisbergs, dass der Plan „optional“ täglich 20g Schokolade (70%) erlaubt. 20 g. Optional. Daraufhin habe ich meine Freundin gefragt, ob es für sie „optional“ sei, wenn ihr Plan ihr Schokolade erlaubt oder ob es ihr damit „zur Pflicht“ würde diese auch zu verspeisen? Und ob sie den nach 20 g Schokolade aufhören könnte? Ich denke, die Antworten kann sich jeder selber denken.

Nur mal so, dass sind 20 g Schokolade (70% Kakaoanteil).

Wer das kann, dem sage ich: go for it! Super. Herzlichen Glückwunsch! Auch ich kann es manchmal, doch in der Regel endet es damit, dass ich mehr als 20 g esse – egal wie Kakaohaltig (also über 70 %) die Schokolade ist und wie unangenehm trocken sie im Mund werden kann. Sie ruft so lange meinen Namen, bis sie weg ist. Und selbst dann erinnert sie mich daran, dass es im Geschäft noch mehr davon gibt!

Desweiteren beinhaltet der Plan meiner Freundin mittags und abends eine warme Mahlzeit – was ich hervorragend finde. Doch selbst ich, wo ich zurzeit zu Hause bin und nicht arbeite, schaffe das nicht. Meine Freundin hingegen hat einen sehr stressigen Job, dieser Tage durch einen hohen Krankenstand noch stressiger. Sie arbeitet 6 Tage die Woche, von 8 Uhr bis 20 Uhr und samstags bis 14 Uhr. Sie ist gestresst, ausgelaugt, mit Vitaminen und Mineralien unterversorgt und steckt in einem dauerhaft schmerzenden Körper. Wie um Himmelswillen soll sie da, den einen solchen Plan, der im übrigen low fat und high carb ist, auch nur ansatzweise durchhalten?

Ich verstehe es einfach nicht. Warum muss eine Ernährungsberatung immer diesen Weg gehen? Ja, ich weiß, DGE konform usw. Aber um Himmelswillen! Vielleicht sollten all‘ die Damen und Herren der Zunft einmal versuchen, eine Zeitlang komplett auf Zucker und Süße zu verzichten? Dann würde schnell klar werden, wie abhängig wir alle von Zucker (aka Kohlenhydrate) sind.

Und dann diese Sache mit dem „in Maßen“! Du darfst alles essen, aber nicht zu viel davon. Sorry, aber das ist ein Haufen Blödsinn. Ein Blick auf meine Freundin genügt, um zu erkennen, dass das mit dem „in Maßen“ für sie genauso wenig funktioniert, wie für mich! Ja, wenn wir nur diesen Plan befolgen, dann wird alles gut. Das wird es aber nicht, das wurde es für uns noch nie! Nicht weil wir es nicht versucht haben, sondern weil der Plan für uns Scheiße ist. Warum wird das immer wieder und immer noch ignoriert?

Ob meine Freundin am Ende einen low carb Weg einschlägt, spielt für mich persönlich keine Rolle. So sehr ich auch glaube, dass es der richtige Weg für sie wäre, so ist low carb eine Lösung, aber nicht die einzige. Ich wünsche ihr, dass die Adipositas OP ihre Situation verbessert. Und noch mehr wünsche ich ihr, dass sie verstehen lernt, dass wenn sie etwas ändern möchte, sie etwas verändern muss.

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