Die Reaktion anderer auf die eigene Veränderung
Heute in der Umkleide meines Fitnesscenters kam die Frage auf, wie denn mein persönliches Umfeld auf meine Abnahme (bisher) reagiert hat. Ich muss dazu sagen, dass die Frage von einem „natürlich schlanken“ Mitglied kam, die dann auch sehr überrascht und ein wenig ungläubig bei meiner Antwort war.
Interessanterweise beschäftigt mich diese Frage schon eine ganze Weile, sodass ich mir hierzu schon ein paar Gedanken zurechtlegen konnte und dann spontan antworten, dass die Reaktionen sehr gemischt sind, ich hier aber häufiger auf Abweisung (zumeist, die die mich mehr Zeit als Übergewichtige gekannt haben), als auf Begeisterung und/oder Unterstützung (zumeist, die die mich vorher nicht kannten) stoße – und ich das doch niemand verdenken kann, weil ich in der Vergangenheit wohl genauso neidisch und unter Druck gesetzt auf die starke Abnahme anderer reagiert habe.
Es war eine meiner größten Sorgen, als ich auf meinem Abnehm-Weg gestartet bin, dass ich selber psychisch nicht gut damit zurechtkommen könnte weniger zu werden, weniger Platz einzunehmen und weniger dicke Schutzmauern zu haben. Auch wenn ich mich grundsätzlich nicht wohl mit meinem Übergewicht gefühlt habe, so hatte ich zumindest immer das Gefühl, dass es sich unter dem ganzen Fett doch vortrefflich verstecken lässt.
Das dieser Eindruck trügerisch war, hätte eigentlich klar sein dürfen. Denn die offenen Beleidigungen und die Missachtung meiner persönlichen Grenzen vonseiten anderer sind NIE an meinem Versteck abgeprallt, sondern haben mich stets schwer getroffen.
Zu meiner Überraschung hatte ich jedoch überhaupt keine Probleme mit dem Selbstempfinden, denn ich fühle mich immer noch wie ich selber, auch wenn ich heute etwas weniger das Gefühl habe mich verstecken zu wollen und mir meinen Platz nicht mehr durch Körperfülle schaffe, sondern selbstbewusst einfordere.
Doch die unerwartete Ablehnung, die von meiner Umgebung auf mich einprallt, hat mich doch schwer geschockt und tut es immer noch, auch wenn ich die Situation heute klarer sehe und ich mir, der sozialen Mechanismen, die dahinterstecken, bewusst bin.
Ich habe das zunächst gar nicht so auf die Reihe bekommen und dachte, dass es vielleicht einfach an dem missionarischen Eifer lag, mit dem ich, in meiner Begeisterung über meine neue Ernährung, in den ersten Monaten jeden Überfallen habe. Und wahrscheinlich waren die Leute auch zurecht genervt davon.
Doch als ich in „Fettlogik überwinden“ über die ein oder andere Bemerkung gestolpert bin, wurde mir klar, dass ich es wohl mit Neid und Missgunst zu tun habe, aber vor allem andere, die gleiches versucht habe oder versuchen, mit meinen Erfolgen unter Druck setzte.
Das klingt nun fürchterlich dramatisch, ist es auch irgendwie, und doch bin ich mir sehr sicher, dass das keiner meiner Freunde, Bekannte oder Familie, also die, die mich viel eher mit 200 kg kannten, als mit 90, das vorsätzlich lanciert hat, sondern dass das eine im Menschen tief verankerte Reaktion ist.
Denn laut meinem Soziologie-studierenden Sohn ist das ein Dilemma des täglichen sozialen Miteinanders; was gut zu wissen ist, für den Moment aber nicht wirklich hilft. So muss ich wohl hinnehmen, dass meine Eltern und meine Geschwister auch nach 2 Jahren immer noch sehr verhalten optimistisch rüberkommen und im Großen und Ganzen meine Abnahme thematisch ebenso umkurven, wie sie es mit meinem Übergewicht getan haben. Währenddessen hat die Natur-schlanke unter meinen Schwägerinnen zuletzt festgestellt, „dass ich ja immer noch nicht wieder mehr geworden bin“. Na, danke auch.
So was von der eigenen Familie zu erfahren ist schon hart, aber die kann man sich ja nun bekannt nicht aussuchen. Das aber von Freunden und Bekannten zu erfahren, die ich mich tatsächlich ausgesucht habe und die mich als 200 Kg-Frau ohne Zögern in ihre gewichtigen Reihen integriert haben und nun angreifen, wann immer ich den Mund aufmache und ausgrenzen, ist und bleibt, bei allem Verständnis, einfach heftig.
Doch zum Glück gibt es auch andere Reaktionen. So ist mir besonders die Reaktion einer alten Freundin ans Herz gegangen, die ich leider viel zu selten sehe. Sie hat vor lauter Erleichterung mich mit wesentlich weniger Kilos wiederzusehen geweint. Sie war auch die einzige in meinem Leben, die bisher mein Gewicht thematisiert hat und ihre Besorgnis über meinen übergewichtigen Gesundheitszustand geäußert hat. Ich wusste das damals leider nicht zu schätzen (vermutlich, weil ich auch nicht bereit dazu war es hören zu wollen), aber heute bin ich ihr für ihre einfühlsamen Worte von damals zutiefst dankbar.
Und dann ist da auch noch mein Mann. Der hat mich treu über nunmehr 25 Jahren durch 100 kg aufwärts und 100 kg abwärts und etliches hoch und runter Zwischendrin begleitet und unterstützt. Leider ist er kein Typ für deutliches oder überschwängliches Verhalten, sondern ein Meister der Minimal-Mitteilsamkeit. Doch „gefühlt“ ist er mein größter Fan und Förderer.
Ich glaube, es war ebenfalls bei Nadja Hermann (der Autorin von „Fettlogik überwinden“), wo ich gelesen habe, dass Menschen sich vor allem in der Stabilität wohlfühlen und von Veränderungen oft irritiert sind und ungern damit konfrontiert werden. Ich sollte also dieselbe Geduld mit den anderen haben, die ich auch für mich selber aufbringen muss. Schließlich ist es so, dass auch ich mich noch nicht ganz an die veränderte Anke gewöhnt habe. Aber verdammt, im Aussitzen oder Ertragen von irgendetwas war ich noch nie gut.