Enjoy in moderartion – in Maßen genießen?
Ich habe mir beim Thema Essen immer gewünscht Maß halten zu können. Denn genauso wurde es mir von Ärzten und anderen Vertrauenspersonen immer propagiert: einfach ein bisschen weniger essen, die Hälfte (FdH) essen oder einfach mal eine Mahlzeit ausfallen lassen. He, weniger ist schließlich mehr. Weniger ist bescheiden. Und Bescheidenheit eine Tugend.
Das Maß ist die Tugend des Menschen, das Unmaß sein Laster ~ Hermann Kesten
Ergo war ich maßlos, lasterhaft, der Sucht verfallen, disziplinlos und willensschwach? So zumindest die Urteile der anderen, die in der Regel nicht damit hinterm Berg gehalten haben und die ich, nicht anderes konnte, als mir zu eigen zu machen. Danke schön dafür! Ich hatte um Hilfe gebeten, nicht darum noch weiter runtergezogen zu werden.
Da die Verurteilung immer schnell bei der Hand war und allgemein von der Gesellschaft akzeptiert wird, hat nichts und niemand mich je dazu angeregt, einmal drüber nachzudenken, woher denn diese Maßlosigkeit beim Essen kommen kann?
Stattdessen erschien mir als einzige Lösung für dieses Problem eine mechanische: eine Adipositas-OP muss her, die mich mit ihrem maßvollen Volumen in Sachen Essen diszipliniert. Und das hat auch bis zu einem gewissen Maß funktioniert; wenn ich damit auch die Hilfestellung einer solchen Adipositas-OP auf verdrehte und wenig hilfreiche Weise missbraucht habe.
Es musste so kommen, dass ich irgendwann anfing zu glauben, endlich gelernt zu haben – mein eingeschränktes Magenvolumen als Sicherheitsnetz immer dabei – die angebotene Produktvielfalt der modernen Lebensmittel maßvoll genießen können. Mittlerweile hatte ich zwar eine Ahnung davon, dass es (moderne) Lebensmittel gibt, mit denen mein Körper nicht besonders gut zurechtkommt und doch hatte ich das Suchtpotential für mich dieser Lebensmittel total unterschätzt.
Es hat lange, sehr lange gedauert bis ich nicht nur erkannt, sondern auch akzeptiert habe, dass ich nicht alles essen kann, „was ich will“ (aus dem verlockenden Angebot unserer modernen Supermärkte, von traditionellen Lebensmitteln, zb. Brot und noch nicht einmal von dem ach so gesunden Gemüse oder Obst).
Noch länger hat es gebraucht um zu erkennen, dass ich kein maßloser Charakter bin, was Essen betrifft, mich jedoch bestimmte Lebensmittel maßlos machen (schließlich sind sie genau dafür konzipiert!). Zudem verbindet sich diese Maßlosigkeit mit meiner problematischen Neigung, Essen als Lösung für alle emotionale Auffuhr zu nutzen, die mir begegnet.
Everything in moderation, including moderation ~ Oscar Wilde
Das Konzept „in Maßen genießen“ funktioniert nicht für mich, wenn es ums Essen geht – weil ich es, nicht nur mit einer „modernen, industriellen und perfektionierten Ernährung zu tun habe, die meine Abhängigkeit fördert, sondern auch mit emotionaler Abhängigkeit von Essen. Als wäre eines nicht schon problematisch genug, so nährt die Kombination aus beiden einen endlosen Kreislauf. Und die bittere Wahrheit ist, dass mich auch das Maß meines Schlauchmagens nicht davon abhalten kann dem nachzugeben.
Mein Heilungsansatz besteht nun – erneut – darin, mich darauf zu konzentrieren alle „mich maßlos machenden“ Lebensmittel aus meiner Ernährung herauszuhalten, mich auf die Lebensmittel zu konzentrieren, die mir guttun und damit leben zu lernen.
Die Erfahrungen der letzten Monate und Wochen (seit ich mich erneut einer low caben Ernährung zugewandt habe), hat mir – erneut – vor Augen geführt, dass eine sehr strikte, sehr low carbe und eine sehr „saubere“ Ernährung mich dabei optimal unterstützt. Dank der nötigen „Ruhe im Kopf“, die sie mir verleiht (weil keine Blutzuckerschwankungen mehr und damit ein stabiler Insulinspiegel), kann ich nun diese Probleme auch wieder angehen. Nämlich zu erkennen, wann ich Essen als Deckel für überschäumende Gefühle nutze und wann es (emotionaler) Stress ist, der mich dazu treibt nach etwas Essbarem zu suchen.
Erfreulicherweise scheint es so, als könne ich mir in diesem Rahmen tatsächlich erlauben intuitiv zu essen. Auch wenn das nicht ganz so einfach ist, wie es klingt, da dem eine lebenslang eingeübt Programmierung gegenübersteht, die anderes verlangt (zb. sich Mahlzeiten verbieten, Snacken, nach Zeit essen oder andere Gewohnheiten). Es ist also noch ein langer Weg und da ist es hilfreich sich immer mal wieder zu erinnern, dass … wir nicht willenlos sind. Es ist unser Wille. Wir sind wir. Wir haben die Wahl.