Galgenhumor?
Man hat 1000 Mal gleiches oder ähnliches gesagt, fand es amüsant (also glaubte man, bzw. ich zumindest), humorig und charmant und dann hört man, genau eine solche Aussage, ein „lustiger Spruch“, aus dem Mund eines anderen und mit einem Schlag ist einem völlig klar, was man da gesagt hat und vor allem warum man es getan hat … und wie schrecklich das ist.
Im Wanderurlaub, die Gruppe hatte gerade ordentlich Höhenmeter gemacht und war bis hin zum letzten, weniger durchtrainierten Nachzügler oben angekommen. Nach einer kurzen Erholung, die für die Nachzügler natürlich noch kürzer ausfiel, besonders da sie viel fertiger waren als die Schnellen, war er da der Satz, der mich so völlig unerwartet heftig in die Knie gehen ließ, ein sprichwörtlicher Schlag in den Magen:
„Wenn es gar nicht mehr geht, dann bleibe ich einfach liegen, dann haben die Tiere wenigstens was zu fressen.“ Hervorgebracht von einem übergewichtigen Menschen, der sich gerade den Berg hoch gequält hatte und dem noch weitere Höhenmeter bevorstehen, will er mit der Gruppe auch nur irgendwie mithalten.
Ich wollte Lächeln, automatisch, wie man das halt so macht, wenn jemand einen „lustigen“ Spruch bringt, aber als das Gehörte sackte, blieb das Lachen im Hals stecken und grauenvolles Entsetzten machte sich in mir breit.
Als nächstes registrierte ich in einem schrecklichen Gefühl der Erkenntnis, dass das tatsächlich niemand (der Anwesenden) wirklich amüsant fand, sondern die Reaktionen darauf eindeutig mit Unwohlsein, ja fast mit Fremdschämen zu deuten waren.
Die, die sich schneller wieder gefasst hatten, fingen sofort an mit (den üblichen) Beschwichtigungen, in einem solchen Fall der peinlichen Sendepause. Was an sich gut gemeint war, aber unpassend schien, da es den Sprüchebringer lediglich dazu anstachelte noch und noch einen „Fraß für die Tiere, weil ich zu dick und zu untrainiert bin um weiterzulaufen“-„Witz“ draufzulegen.
Ganz ehrlich, mir war erst einmal schlecht. Richtig schlecht, weil ich genauso etwas vor kurzer Zeit auch noch gesagt hätte und weil mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass es tatsächlich niemand lustig fand (Okay, wir sprechen hier von einem grundsätzlich geschützten Raum, in dem man sich kennt und sich respektiert, in anderer Umgebung, mit weniger empathischen Menschen kann das natürlich anders aussehen.). Eigentlich war jeder voller Bewunderung, weil das Mitglied der Gruppe, was am wenigsten trainiert war und dazu noch am schwersten, sich trotzdem „durchgebissen“ hatte.
Als ich die Situation viel später meinem Mann beschrieb, kam der nächste Knaller, den er meine nur: „Ja, ich habe das auch immer gehasst, wenn du das gemacht hast“. Boah, und er hat mich nie darauf angesprochen! Nicht einmal, kein Wort dazu! Andererseits, hätte ich es hören wollen, hätte ich es verstanden? Nein, wahrscheinlich eher nicht. Bzw. es wäre viel Fingerspitzengefühl nötig gewesen mir das Problem näher zu bringen. Und so sehr ich meinen Mann auch liebe, dafür ist er einfach nicht der Typ.
Ich habe keine Gelegenheit mehr dazu gefunden mit der „Sprüchebringerin“ zu reden, ihr meine Ansicht dazulegen und vielleicht ein paar Anregungen zum Nachdenken zu geben. Doch das hier ist, meiner Meinung nach, ein so problematisches sensibles Thema, ich habe es einfach nichts übers Herz gebracht, dass am großen Essenstisch mit zig „dünnen“ Ohren ausbreiten.
Ich verstehe den Schutzmechanismus dahin natürlich ganz genau. Mach dich selber über dich lustig, dann macht es kein anderer. Aber muss sich tatsächlich so in den Dreck ziehen? So abwerten? Und muss man das auch zwingend in einer „geschützten“ Gruppe machen? Bzw. ist das so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man es gar nicht mehr bemerkt, dass man es hier eigentlich nicht machen muss?
Ich glaube, gerade über diesen Punkt war ich so traurig.
Die Sprüchebringerin hat sich übrigens durchgebissen und ist jeden Schritt mit der Gruppe mitgelaufen; die Extra-Berggipfel-und-mörderischen Abstiegs-Touren einmal außen vor, auch ich habe die ausgelassen und die Gondel nach unten genutzt.
Was mich zu einem weiteren Punkt bringt, der mich sehr hilflos und ratlos gemacht hat und über den ich beim Laufen viel nachgedacht habe. Ich weiß ganz genau wie es ist, wenn man hinter den anderen herkeucht, übermäßig schwitzt und am Ende völlig fertig oben ankommt, dann wenn die anderen gerade ihr Mahlzeit gekaut haben und munter schwatzend schon wieder bereit sind für den nächsten Abschnitt, während du immer noch um Luft ringst.
Und nun, da ich beide Seiten kenne, würde ich zu gerne der Vermittler zwischen beider dieser Welten sein, der Aufklärung und Verständnis einbringt und so solche Abwertungen völlig überflüssig macht. Ich hätte auch gerne den Nachzüglern Mut ausgesprochen und den Schnellen näher bringen wollen, was es tatsächlich bedeutet hinter den anderen her zu keuchen.
Doch was ich mir auch überlegt habe, wie ich reagiere, agiere und was ich sagen könnte, nichts schien mir angebracht oder sinnvoll. Nichts schien erklären zu können, was das alles wirklich für einen bedeutet.
In solchen Situationen wird mir klar, dass ich in eine andere Liga gewechselt bin; in diesem Fall bin ich von den Dicken/Untrainierten zu den Normalen/Trainierten „übergelaufen“; und für beide Gruppen bin ich ein Exot, mit dem sie nichts anfangen können, bzw. mit dem sie nichts anfangen können, weil sie ihn wahrscheinlich einfach nicht einschätzen können.
Das Problem dabei ist, dass mein Herz und meine Sinne eigentlich noch zu den Dicken/Untrainierten gehören, die jedoch wollen mir keinen Platz mehr einräumen, weil ich nun ja Normal und trainiert bin. Ebenso wie die Normalen/Trainierten mich nicht recht in ihren Reihen dulden, schließlich bin ich mit einem Mal eine neue und weitere Konkurrenz.
By the way: Ich bin mir sicher, dass es dafür eine kluge psychologische Erklärung gibt, wir müssen uns für den Monet jedoch mit meinem Nicht-Fachwissen herumschlagen und ich kann nur hoffen, dass ich in 14 Tagen noch verstehe, was ich hier ausdrücken wollte. Aber gut.
Was mich erneut auf das Thema bringt, dass ich immer wieder vergessen, dass meine „neue“ Wahrnehmung von mir selber, nicht nur mir große Probleme bereitet, sondern es anderen ebenso geht. Ähnlich verschwurbelt ist es aber auch, wenn ich neue Bekanntschaft schließe, mit Menschen, die mich nur im Ist-Zustand kennen. Das ist Vorteil wie Nachteil, denn sie kennen natürlich meine Veränderung nicht und haben keine Ahnung von meinem steinigen Weg.
Aber zurück zum eigentlichen Thema. Am Ende habe ich gar nichts gesagt oder getan. Ich habe mich so gut es mir möglich war rausgehalten, den Mund gehalten, was für mich eine wahre Herkules-Aufgabe war, da ich eben immer viel zu gerne mitmische. Allerdings weiß ich auch von mir, dass ich nicht immer die Empathischste und die mit dem größten Fingerspitzengefühl bin. Und es grundsätzlich eine (und zwar eine positive) Herausforderung für mich ist, mal den Mund zu halten.
Nur einmal hielt ich es für angebracht den Vorschlag eines Umweges anzubieten und mich als Begleiter ins Feld zu führen. Ich möchte jedoch betonen, dass es mir zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nichts ausgemacht hätte entspannt einen leichten Umweg zu laufen. Aber das hat sich die Sprüchebringerin nicht getraut. Ich vermutet, dass sie einfach nicht noch mehr auffallen wolle, als sie es eh schon getan hat. Ich an ihrer Stelle hätte vermutlich auch nicht so einfach aufgegeben; vorausgesetzt, ich wäre nicht liegengeblieben, damit die Tiere auch mal was Ordentliches zum Fressen haben.