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Von Mottenkugeln und eingestaubten Kleiderbügeln

In meinen stark übergewichtigen Jahrzehnten habe ich mich kleidertechnisch in der Regel an dunkle Sweatshirt-Trainingshosen und T-Shirts, bzw. für den Winter Langarm-T-Shirts gehalten. Zum einen gab es die in meiner Größe und sie waren bequem. Meine „Optionen“ in Sachen Mode bestanden vor allem darin eine Farbe zu (der beschränkten Auswahl) auszusuchen.

Bekleidung kaufen, war für mich noch nie das Vergnügen, was andere, die aus einer bunten Vielfalt, passender Durchschnittsgrößen auswählen können, dabei empfinden mögen. Für mich war es lediglich eine lästige Notwendigkeit in regelmäßigen Abständen die im Schritt gescheuerten Hosen und ausgeleierte Shirts zu ersetzten.

Zumal ich dabei den doppelten Schwarzen Peter gezogen habe. Übergewicht und Damen-Übergrößen-Schuhe! Somit konnte ich noch nicht einmal den Schuhe-Shopping-Joker ziehen. Die Verlockungen der Modewelt und der Kleidungs-Kaufrausch gingen generell an mir vorbei.

Bis auf das immergleiche Basic-Sortiment diente mein Kleiderschrank eher als Lagerraum, für all die Kleidungsstücke, die ich auf meiner Reise durch die Kleidergrößen gesammelt hatte. Und nach dem Motto: könnte ja irgendwann wieder passen, staubten ihre Kleiderbügel über die Jahre ein.

Doch die (Stand Aug. 2014) ersten 30 kg Gewichtsabnahme nach Adipositas-OP waren nicht spurlos an mir vorübergegangen, die T-Shirts, die ich bis dato recht proper ausgefüllt hatte, fingen an zu schlabbern. Es wurde also Zeit, einen Rundgang durch meinen „Lagerraum“ zu unternehmen, um zu prüfen, was schon wieder getragen werden könnte, woraus ich rausgeschrumpft bin und was noch zum Hineinwachsen geeignet war.

Die meiste meiner Lagerraum-Kleidung war 20 – 25 Jahre alt; manche verfügen sogar noch über die monströsen Schulterpolster der 80ziger. Nach den ersten Niesanfällen und der Einnahme einer Allergie-Tablette durfte ich feststellen, dass ich in – fast ausnahmslos – alle Kleidungsstücke, die noch in meinem Schrank vor sich hin stauben, reinpasste.

Ein bis zwei Hosen waren noch etwas enger, andere eignen sich (bisher) nur zum Stehen und einige waren schlicht zu groß. Die Winterjacke sogar, die im Winter davor nicht mehr zu schließen war, musste ich aussortieren und ersetzen müssen. Aber Hurra!, meine Walking-Jacken (die für Sommer UND die für den Winter) gingen wieder zu.

Und trotzdem – war mir irgendwie zum Heulen zumute, als mein Mann vorschlug, dass ich nun aber die zu großen Kleider aussortieren sollte. Meine Reaktion darauf war verneinend den Kopf zu schütteln. Auf seine Nachfrage, warum ich die Sachen nicht aussortieren will, meine ich nur, dass ich denke, sie vielleicht noch wieder brauchen zu können. Ich konnte die Sachen, die ich so lange aufgehoben hatte und die ich nie tragen getragen habe, weil entweder zu groß zu klein oder zu unbequem, einfach nicht loslassen.

Shopping-Tour

Ich bin dann also auf Shopping-Tour gegangen.

Auch wenn ich zunächst noch bei den übergroßen Kunde war, so schrumpfte ich doch nach und nach in „normale“ Konfektionsgrößen und konnte aus einem noch größeren Spektrum wählen. Und das erst Mal in meinem Leben konnte ich Kleidung, in den Läden kaufen, die ich bisher lediglich von außen gesehen hatte.

In dieser Zeit war es immer ein surreales Gefühl, wie ich nach und nach Kleidergröße um Kleidergröße runter gehen musste, bis ich endlich etwa anhatte, was nicht aussah, als hätte ich mir einen Sack übergestülpt.

Dass hat mir damals sehr zu denken gegeben und mir sehr bewusst vor Augen geführt, dass ich echte Probleme damit hatte, den schnellen Gewichtsverlust zu verdauen. Automatisch und ausschließlich habe ich nach viel zu großen, überall verhüllenden Kleidungsstücken gegriffen und dabei überhaupt nicht infrage gestellt, wie ich mich darin fühle.

Die stetige Gewichtsabnahme (und mein völlig unkoordinierter Shoppingwahn) machte es notwendig, dass ich in regelmäßigen Abständen zu noch kleineren Größen greifen musste. Hatte mir die erste Tour noch richtigen Spaß gemacht, so fühlte es sich für mich bald schal an, schon wieder nach neuen Hosen suchen zu müssen.

Irgendwann, bei mir hat es bestimmt so seine 5 Jahre gedauert, war der Spuck dann vorbei. Auch wenn ich heute immer noch eine Größe habe, mit der man durchaus von der Stange kaufen kann, so ist doch die alte Abneigung wieder da.

Rückblickend gesehen ist es schon ein wenig tragisch zu nennen, wie ich bekleidungstechnsich ausgeflippt bin. Ich vermute heute, dass es entweder eine Art Suchtverlagerung war oder eine zweite Pubertät, eine Rebellion, durch die ich durchmusste, eine Entgiftung, die nicht nur mein Kaufverhalten beeinflusst hat, sondern praktisch alle Bereiche meines Lebens.
(Siehe dazu Wut auf … alles)

Doch meine „Shopping-Phase“ hat auch ein neues Selbstbewusst sein wachsen lassen. Ich weiß heute was ich mag und was nicht. Amüsanterweise sitzte ich heute wieder in meiner Sportbekleidung, in Jogginghosen und Shirts da; wenn auch aus einem ganz anderen Beweggrund.

Style

Über so etwas, wie einen eigenen Style, habe ich noch nie nachgedacht. Ehrlicherweise kam mir das bei Größe 64 auch nicht wirklich in den Sinn. Ich war schon froh, einfach IRGENDWAS zum Anziehen zu finden; zumindest war das die meiste Zeit meines Lebens so, heute ist das Angebot zum Glück etwas weiter gestreut.

Bequem sollte es sein, schließlich ist ein Leben mit 200 KG schon einengend genug. Und warm war mir auch immer, hat mich nicht schon die kleinste Anstrengung zum Schwitzen gebracht. Und unauffällig sollte alles sein, hatte ich doch schon unter genug Übergrifflichkeiten zu leiden; meine Bewunderung für jeden, der mit seinem Körper voller Selbstbewusstsein, geschickt zu kokettieren weiß. Mir war das noch nie gegeben, obwohl ich durchaus eine Ahnung davon gewinnen könnte, die letzten Jahre.

Ich habe also nie lange überlegt, was ich anziehen soll, Hauptsache es hat gepasst, war funktionell, bequem und schlicht. Mein Style, das war eine dunkle Sweat(Trainings-)hose und ein einfarbiges T-Shirt oder Shirt. In jüngeren Jahren habe ich mich noch mit ein paar Accessoires aufgehalten, Schmuck oder Tücher, später habe ich aber auch das aufgegeben.

Als das mit dem Abnehmen anfing und ich endlich in den Bereich kam, der mir Kleidung von der Stange und somit in einer großen Bandbreite anbot, wollte ich das mit dem Style „geplant“ angehen. Doch so rasant, wie ich in der Folge durch die Kleidergrößen gerutscht bin, kam ich kaum mit dem Notwendigsten nach und wann immer ich etwas fand, was wirklich zu mir passte, mir gefiel und mich darstellte, war es in kürzester Zeit zu groß.

Nach dem ersten heftigen Gewichtsrutsch hat es lange gedauert, bis ich wieder ein Gefühl für die eigenen Körperabmessungen bekommen habe. Und das auch erst, als ich wieder zugenommen hatte. Fast 4 Jahre lang, nach OP und damit nach beginnender Abnahme, habe ich meine Körpermaße falsch eingeschätzt, und zwar immer als zu groß.

Ich habe Stühle als zu klein, Shirts als zu eng und Durchgänge als zu schmal bewertet. Ich habe im Auto und um Flugzeug gesessen und mich über die gähnende Leere zwischen Lenkrad und Klapptisch gewundert. Ich habe mich nicht in Schaukelstühle gesetzt (kann der mein Gewicht überhaupt halten?) oder Fahrräder als nicht stabil genug empfunden. Sogar heute noch bewundere ich regelmäßig die Abstände zwischen Sitzmöbeln und Oberschenkelaußenseiten.

Und genauso habe ich nach der Abnahme jahrelang zu zu großen Größen gegriffen. Es gibt viele Dinge, die einem Angst machen können, auf dem Abnehm-Weg nach einer Adipositas-OP und die nie thematisiert werden, diese Fehleinschätzungen der eigenen Körperabmessungen waren für mich eine der beängstigenden Erfahrungen.

Ich bin heute wieder, mit meiner Größe, an den Rand der „Bekleidung von der Stange“ gerutscht. Doch für einen kurzen Moment in meinem Leben konnte ich ein wenig „modische Luft“ schnuppern. Und es war ein Triumph sondergleichen. Doch wirklich genossen habe ich es nicht, denn am Ende konnte ich nichts damit anfangen.

Ich war mir sicher, dass es mit Größe 42/44 einfach sein wird, einen modischen Menschen aus mir zu machen. Womöglich habe ich aber auch nur gehofft, dass mir das Reiz genug sei, auf dass ich mich ewig beim Essen einschränken kann? Aber leider musst ich erkennen, dass mir Style und modisch am Arsch vorbeigeht. Und, dass das mit dem „auf ewig Essen einschränken können“ soeben nun mal nicht funktioniert.

Natürlich weiß ich – objektiv – dass ich mich, nur weil ich nur, weil ich weniger Körpergewicht habe, nicht automatisch in einen anderen Menschen verwandle. Und doch gärt da – subjektiv – immer noch ein „wenn ich schlank bin“ in mir. Wenn ich einmal schlank bin, dann kann ich zu einer Modeikone aufsteigen. Wenn ich schlank bin, dann kann ich endlich die Bekleidung und den Style wählen, die ich schon immer tragen wollte.

Und dann? Dann habe ich – mal wieder – lernen dürfen, dass ich a) gar nicht zur Modeikone gemacht bin und b) ich schon immer das trage, was ich mag. Sicher, heute kann ich das aus der Gewissheit heraus, es ausprobiert gehabt zu haben, sagen, doch hätte ich einfach mal ein bisschen mehr vertrauen in mich beweisen, dann hätte es diesen „Umweg“, der dazu auch noch einiges an Stress und viel Geld und Zeit gekostet hat, gar nicht gebraucht.

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