Skip to content

Weil ich eine Dicke bin – ein Interview mit mir selbst

Es ist schon eine Weile her, dass ich auf Rominas „low carb“-Blog ihr „Ich bin übergewichtig und nun ein Interview mit mir selbst“ gelesen habe. Aber schon damals war für mich klar, dass ich diese Fragen, die auf ein Interview mit Andreas bezogen sind und die ich, mit freundlicher Genehmigung von Romina, auf meinem Blog festhalten darf, ebenfalls beantworten möchte. Es hat eine Weile gedauert, aber endlich habe ich mich aufgerafft und besagtes Interview mit mir geführt.

Darüber hinaus wäre es, so dachte ich mir, auch sehr spannend die Fragen, etwas modifizieren, dazu zu nutzen um sie meiner Familie vorzulegen. Ein Interview mit meinen engsten Verwandten über mein Gewicht, in der Vergangenheit und Gegenwart, zu machen, habe ich eh schon lange vor. Aktuell habe ich diesen Teil des Projektes aber noch nicht fertig gestellt – und so bleibt es vorerst bei meinen Antworten.

Wann hattest du das erste Mal das Gefühl, dass du dick bist?

Seit ich denken kann. Allerdings war das nie „nur“ ein Gefühl, sondern von Kindesbeinen an, über die Jugend, das junge und das mittlere Erwachsenenalter hinweg, immer schon eine Tatsache.

Wie hat es essenstechnisch bei deinem Höhepunkt ausgesehen?

Rückblickend gesehen erscheint mir meine Vergangenheit als ein einziger „essenstechnisch Höhepunkt“. Besondere Highlights waren wohl die Momente, in denen ich so vollgefressen war und mir so schlecht, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte; übrigens kein seltenes Erlebnis.

Was war der absolute Höhepunkt, wo du gesagt hast, so kann es nicht mehr weitergehen?

Im Sommer 2013, mit 192 kg, an einem sehr heißen Nachmittag, an dem ich in meinem abgedunkelten Wohnzimmer saß und vor mich hin geschwitzt habe. Ich war vom morgendlichen Einkauf und den sommerlichen Temperaturen völlig fertig und generell sowie so in sehr schlechter Verfassung. Während mir die Tränen über die Wange liefen, habe ich mir ein Ende meiner Qualen herbeigesehnt und ernsthaft überlegt, wie ich mich schnellst möglich zu Tode essen kann. Dabei war ich über alles dramatisch längst hinaus, es sollte einfach nur alles aufhören.

Merkt man nicht vorher schon, dass man dick ist? Hast du realisiert, dass du deinem Körper etwas schlechtes antust?

Klar, natürlich wusste ich das ich dick bin. Aber ich habe es stets bevorzugt diese Tatsache zu ignorieren, einfach aus meinem Geist zu streichen und andere (ziemlich kreative, wenn ich das Anmerken darf) Begründungen dafür zu suchen, warum es mir so dreckig geht, ich mich so schlecht bewegen kann und so schnell aus der Puste komme.

Waren die Diäten frustrierende Phasen für dich?

Ja. Weil ich so voller (heute habe ich einen Begriff dafür) „Fettlogiken“ gesteckt habe, die mir dumme Ausreden, widersprüchliche und falsche Erklärungen dafür geliefert haben, das Diäten bei mir nun mal eben nicht funktionieren. Es war also meine eigene Dummheit, mein Unwillen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und viele Desinformationen, warum Diäten für mich „frustrierende Phasen“ waren.

Übergewichtige und dicke Menschen werden oft heruntergemacht – warum denkst du, ist das so?

Nun, ich denke, dass es eben immer einfacher ist andere auf ihre Schwäche hinzuweisen, als an seine eigenen anzuerkennen und daran zu arbeiten. Wobei es hier natürlich auch eine Frage des Charakters, ist ob man das offen, lautstark, übergriffig und unerwünscht ausspricht oder nur für sich selber urteilt.

Hast du persönlich schon solche Beleidigungen erlebt?

Ja, und nicht nur eine.

Hat dich das verletzt?

Ja.

Wo machen sich die Dickenfeindlichen besonders bemerkbar?

Aus meiner früheren Sicht hätte ich nun von Caféhausstühle bis Treppen alles aufgeführt und die Liste wäre lang gewesen. Da ich es selber vorgezogen habe dick zu sein, weil mir abnehmen viel zu anstrengend erschien und ich dafür auch meine Komfortzone hätte verlassen müssen, war es für mich natürlich die beste Lösung überall Dickenfeindliches sehen zu wollen.

Heute frage ich mich in diesem Zusammenhang jedoch, ob man nicht noch viel zu nett zu mir war. So übergewichtig zu sein, war für mich weder schön, noch seelisch oder körperlich gesundheitlich zuträglich. Ich denke nicht, dass es für mich hilfreich gewesen wäre, hätte man mir breite schwerlast Caféhausstühle angeboten. Vielleicht wäre es sehr viel wichtiger gewesen, mir die Dringlichkeit Abnehmen zu müssen, deutlicher vor Augen zu führen. Und so aus der Feindlichkeit, die in meinem Falle schlicht Wahrheit war, eine Freundlichkeit zu machen.

Schämst du dich, wenn du in ein Fitnesscenter gehst?

Als ich noch sehr übergewichtig war, habe ich mich geschämt in ein Fitnesscenter zu gehen – ich hatte schlicht Angst, dass die Geräte meine 200 kg nicht aushalten und es auf Grund meines Gewichtes zu peinlichen Situationen kommen könnte. Aber als ich die 150 kg erreicht hatte bin ich ins Studio – und zwar sehr stolz und ohne jeglichen Scham; was vielleicht auch daran lag, dass ich mein Fitnesscenter mit viel Bedacht ausgesucht hatte.

Ist es denn umgekehrt, dass du durch das Fitness bzw. im Fitnesscenter motiviert wirst?

Nein. Ich bin mir meine eigene Motivation.

Ist es dir peinlich, dich im Schwimmbad oder im Freibad zu zeigen?

Früher, zu sehr dicken Zeiten, eindeutig ja. Heute Jaein. Ich bin stolz drauf was ich geschafft habe und trage meine überschüssige Haut, so ein bisschen wie stolze Kriegernarben. Aber schön finde ich sie deswegen nicht. Und ja, irgendwo schwingt da wohl auch noch immer eine Peinlichkeit herum, schließlich war ich ja auch so dumm mir solche „Kriegsnarben“ überhaupt erst zuzufügen.

Gibt es Dinge oder Sachen, die du wegen deinem Gewicht nicht machen kannst?

Heute nicht mehr. Mit 200 kg, ja. Achterbahn fahren zb. oder auf Cafehausstühlen sitzen, im Kino, im Flugzeug, eine Hängematte benutzen usw.. Aber auch ganz einfach Dinge des täglichen Lebens waren nicht mehr möglich: zb. die Treppen in den Keller zu bewältigen, Schuhe zubinden, einen längeren Zeitraum in der Küche stehen usw..

Wie schwer bist du? Darf man das überhaupt fragen?

Klar, darf man das fragen, schließlich bin ich da ziemlich stolz drauf: Aktuell wiege ich 88 kg.

Was isst du so den ganzen Tag?

Heutzutage gibt es um 12 Uhr, einen Butterkaffee, gegen 16 Uhr eine kalte Eier, Käse, Rohkost-Mahlzeit, um 20 Uhr eine warme Speise mit Fleisch und Gemüse und um 23 Uhr noch eine süße Quarkmahlzeit. Aktuell bin ich jedoch etwas schluderhaft geworden und weniger streng. Da kommt auch schon mal ein Muffin, schon vor 12 Uhr dazu; wenn auch dieses Grundgerüst von 4 Mahlzeiten weiterhin Bestand hat.

Trinkst du Süssgetränke?

Ja mitunter, dann aber nur zuckerfreie.

Hast du ab und zu Fressattacken?

Ja, die hatte ich und die habe ich nach wie vor.

Glaubst du daran, dass du dein Wunschgewicht irgendwann einmal erreichst?

Ja.

Wie sieht dein persönliches Idealbild aus? Also findest du festere oder schlankere Menschen schöner?

Mein Idealbild für mich? Ja, definitiv fester und schlanker. Aber ich arbeite daran.

Wie sehr belastet dich dein Aussehen?

Mein eigenes Wertbild ist mit dem schwindenden Gewicht sehr viel positiver geworden. Mein Aussehen gefällt mir zwar nach wie vor nicht unbedingt, aber es belastet mich auch nicht mehr in dem Maße, wie es mich als stark Übergewichtige belastet hat.

Hast du aufgrund deines Gewichts gesundheitliche Probleme?

Ja, hatte ich. Bluthochdruck, schlechte Blutwerte, Fettleber, Gelenk- und Rückenbeschwerden, beginnender Diabetes und Schlafapnoe. Und eine Reihe an Vitamin- und Mineralmängel. Heute bin ich jedoch Medikament- und Schmerzfrei, nur meine Vitamin- und Mineral-Supplemente nehme ich immer noch regelmäßig.

Fällt es dir nach dem Sport schwer, dich in den Umkleiden oder in der Dusche zu zeigen?

Früher ja, da ist es mir schwer gefallen, bzw. ich habe mein möglichstes getan eine solche Situation zu verhindern. Heute nein, nicht mehr.

Was würdest du jemandem raten, der dick ist und extrem Mühe damit hat, sich zu zeigen bzw. sich so anzunehmen, wie er / sie ist?

Ich würde ihm raten abzunehmen und das Körperbild schaffen, mit er sich wohlfühlt.

Ich halte überhaupt nichts davon zu versuchen sich anzunehmen, wie man ist, zumindest solange man die Möglichkeit hat, sich verändern zu können. Ich habe „gefühlt“ Jahrzehnte vor dem Spiegel verbracht und versucht mir einzureden, dass ich mich selber lieben soll, wie ich es in den Antidiät-Ratgebern der 80ziger gelesen hatte. Ich konnte es nicht. Ich habe vor dem Spiegel gestanden, mich verachtet und geheult, weil ich mich so schrecklich fand. Das waren ganz schlimme Zeiten.

Hängt dein Selbsthass mit deinem Übergewicht zusammen?

Ja.

Was denkst du, wer hat dein Idealbild am meisten geprägt, bzw. den Druck erschafft, dass du abnehmen musst?

Ich habe nie gewagt mir ein Idealbild vorzunehmen, weil ich Angst davor hatte es niemals erreichen zu können und mich einmal mehr als Verlierer gefühlt hätte. Letztendlich war ich es selber, die mir den nötigen Druck erschaffen hat.

Was war der Auslöser, dass du deinen Blog gestartet hast?

Ich wollte mir selber Druck machen, nicht so sehr zum Abnehmen oder zur Motivation, sondern um ein für alle Mal mit den Heimlichkeiten (heimlich essen, heimlich zu und wieder abnehmen, mich zu verstecken usw.) Schluss zu machen.

Ich habe mir vorgenommen offen und ehrlich zu sein (und nicht nur in Puncto Essen) und um das (vor Zeugen) zu dokumentieren und bisher hat mir das, in meiner Entwicklung, sehr geholfen.

Was trainierst du momentan?

Ich gehe 3 mal die Woche ins Fitnessstudio um Eisen zu stemmen und ein klitzeskleines bisschen Cardio zu machen. Zusätzlich versuche ich täglich 8000 Schritte zügig zu laufen oder zu walken; was ich regelmäßig mit meiner Fitnessuhr überprüfe.

Ist es nicht frustrierend, wenn du dich so gut auf deine Ernährung konzentrierst und gleichzeitig Sport treibst, dass du dennoch (zumindest momentan) nicht abnimmst?

Heute weiß ich, dass Frust hier fehl am Platz ist, sondern ich dann schlicht etwas falsch mache. Wenn ich unter meinem Kalorienbedarf esse und Sport mache und nicht abnehme, dann ist es wohl eher so, dass ich mich grandios selber bescheiße, wahlweise mit den Kalorien, die ich aufgenommen habe oder beim Sport.

Hast du dir schon mal überlegt, ob du dir Fett absaugen lassen möchtest?

Ich vermutet, dass, wenn ich mich eines Tages entschiede einen Bodylift zu machen, wohl Fettabsaugen zur OP gehört. Insofern, ja. Als ich noch stark übergewichtig war, habe ich durchaus von einem Fettabsauge-Wunder geträumt. Aber selbst ich war so realistisch, dass man, sagen wir einmal 150 kg, nicht so einfach absaugen kann.

Hast du die Motivation, den Willen, den es braucht, um so diszipliniert zu essen, um es tatsächlich zu schaffen?

Ja, das habe ich mir selber bereits bewiesen. Aber aktuell habe ich sie nicht. Zurzeit bin ich einfach nur froh, mein Gewicht zu halten.

Hilft dir dein Gewicht in irgendeiner Form?

Mein übergewichtiges Gewicht oder mein heutiges? Nun es dürfte klar sein, dass mein altes Gewicht mir lediglich dabei geholfen hat, dass ich mehr Kalorien essen konnte als heute. Heute muss ich mich zwar damit einschränken, aber mit 88kg kann ich endlich ein lebenswertes Leben leben. Insofern, nein, mein Übergewicht hat mir nicht geholfen.

Versteckst du irgendetwas hinter deinem Gewicht?

Ja, ich denke, dass ich versucht habe eine ganze Menge hinter meinen Gewicht zu verstecken. Aber funktioniert hat das jedoch nie. Trotz Gewicht habe ich mich genauso angreifbar, unsicher, ängstlich und überfordert gefühlt, wie ohne.

Gibt es etwas, das du tun kannst, um den Frust, den du hast, zu vermeiden?

Nun, ich arbeite daran. Immerhin erkenne ich heute die Fallstricke schneller, kann schneller reagieren und schneller für Abhilfe sorgen. Und das werte ich auf jeden Fall schon mal als sehr positiv.

Wie kannst du dich anders belohnen als mittels Essen?

Ich denke, dass in meinem Kopf (nach wie vor) nichts, aber auch nichts, an die Belohnung mit Essen heranreicht. Und ich habe mich mein Leben lang reichlich damit „belohnt“. Aber ich habe für mich gelernt, dass es eben Dinge gibt, die man eben einfach tun muss – und zwar ohne Belohnung.

Was sind deine Ziele, deine Träume? Wo willst du hin?

Mein Ziel? Ich will leichter durchs das Leben gehen, was mir noch bleibt. Ich habe es mir lange genug schwer gemacht.

Wo ich hin will? Ich will die 7 – nein, ich bin ehrlich die 6 auf der Waage vorne stehen sehen. Ich will fühlen wie es mir damit geht und dann entscheiden, ob ich das Gefühl mag oder nicht.

Mein Traum? Aktuell ist mein Traum einmal eine Vorbereitung zur einer Bikini-Athletin zu durchlaufen, angefangen vom einer Aufbau- bis zur Diät-Phase. Dabei geht es mir nicht darum am Ende auf einer Wettkampfbühne zu stehen, in diesem Punkt bin ich Realist, sondern um die Erfahrung, einmal eine solche professionell Begleitet zu durchlaufen. Ich würde zu gerne wissen ob ich den Willen und die Stärke habe, so etwas durchzuziehen.

An den Anfang scrollen