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Wie war das, als du dick warst?

Letztens hatte ich ein wirklich spannendes Gespräch mit einem anderen Mitglied meines Fitnesscenters. Ich kannte die Dame bisher nur vom Sehen und hin und wieder Grüßen, aber sie hatte bereits vom mir gehört; die Besitzerin des Studios wird nicht müde mich, meine regelmäßigen Trainingseinheiten und meine Gewichtsabnahme, als Motivation für andere Abnehmwillige vorzuschieben.

Als eine Frau, deren Stoffwechsel stets droht sie ins Untergewicht zu befördern und die ihr Leben lang schon damit kämpft ihr Gewicht zu halten, um nicht weniger auf die Waage zu bringen, war ihre erste Frage, wie ist das so, wenn man stark übergewichtig ist? Amüsant fand ich auch, dass sie in der Umkehrfolgerung meinte, dass das Abnehmen bestimmt auch der Gesundheit sehr zuträglich war.

Natürlich habe ich mich gleich in eine lange und begeisterte Ausführung meiner Erfahrungen gestürzt, einer meiner Fehler, ein kleiner Interessefunken und ich kann mich kaum noch zügeln, aber ich habe auch nach dem Gespräch noch lange darüber nachgedacht.

Die Bemerkung, die ein Abnehmen mit gewonnener Gesundheit gleich setzt, kenn ich zur Genüge und finde sie mehr als lächerlich. Ich kann meiner Gesprächspartnerin aber auch keinen Vorwurf daraus machen, da das die Standard-Eröffnung aller offiziellen medizinischer Kanäle ist und uns nichts anderes übrigbleibt, als in unseren Köpfen zu übernehmen, dass wenn jemand abnimmt, es für seine Gesundheit höchst zuträglich ist.

Es mag angehen, dass wenn ein junger Mensch, der noch keine Folgeschäden davon getragen hat, gesundheitlich dadurch gewinnt, wenn er sein Gewicht auf sein persönliches Wohlfühlmaß reduziert. Aber jemand wie ich, der 30 Jahre morbid Adipös war, sich vom Stoffwechseln bis zu den Knien praktisch alles ruiniert hat, der wird mit viel Glück vielleicht einer schmerzfreien Zeit entgegenblicken, aber Gesundheit wird ihm (oder mir) auch nach einer Gewichtsreduktion nicht beschert sein.

Außerdem mal ganz ehrlich, wenn ich mir sorgen um meine Gesundheit gemacht hätte, wenn der Gedanke verlockender gewesen wäre, als Essen, dann wäre ich vielleicht schon vor 30 Jahren mit dem Abnehmen erfolgreicher gewesen, oder? Mir, als stark Übergewichten zu sagen, denken Sie an ihre Gesundheit, war in etwa so erfolgreich, wie einen Eimer Wasser in die Wüste zu kippen und zu hoffen, dass damit die Sache erledigt ist und eine blühende Oase entsteht.

Wo liegen also die Motive abnehmen zu wollen, wenn nicht bei der Gesundheit? Für mich liegen sie darin „normal“ zu sein. In einer Menschenmenge nicht herauszustechen, die Stühle im Eiscafé ohne Peinlichkeit nutzen zu können, keine Gurtverlängerung mehr im Auto zu brauchen, Kleidung von der Stange kaufen zu können, und zwar jeder beliebigen Stange und nicht nur der bei Ulla Popken, Schokolade in den Einkaufswagen legen zu können, ohne „typisch, die Dicke wieder“-Blicke im Nacken zu spüren (ob eingebildet oder nicht), in der Öffentlichkeit entspannt etwas zu essen und einmal nicht die dickste Person im Raum zu sein.

Aber wie war das nun als Dicke? Auf diese Frage konnte ich meiner Gesprächspartnerin nur sagen, dass man sich daran gewöhnt, wie man sich an alles gewöhnt. Man gewöhnt sich mit der Zeit daran, dass man eben etwas mehr schnauft, weniger beweglich ist, größere Kleidung braucht. Man ignoriert es, sieht sich selber nicht so, schiebt jeden Gedanken daran von sich weg, bzw. vermeidet jegliche Konfrontation darüber mit sich selbst.

Nichts davon ist erfreulich, doch solange das Bedürfnis stärker ist, einfach alles mit – und dazu noch dem falschen – Essen zu betäuben. Solange man dieser Sucht seelisch, geistig und körperlich so völlig hilflos ausgesetzt ist, schiebt man das von sich weg und nimmt mit einem Schulterzucken hin, dass nun eben Größe 64 angesagt ist. So zumindest ging es mir.

„Wer will findet Wege, wer nicht will Gründe.“ Und ich war diejenige die mit unverschämter Begeisterung Gründe gefunden und sich deswegen nie die Mühe gemacht hat, nach Wegen zu suchen.

Aber nun ist alles leichter, oder? Klar, ich putze heute eben mal schnell durch und muss das nicht mehr als Tagespensum planen. Spring morgens praktisch aus dem Bett und kann wieder ohne Probleme meine Fußnägel pflegen. Aber ich war es eben auch gewöhnt mit 200 kg die Treppe hochzusteigen und ich würde auch mit 90 kg noch schnaufen, wenn ich mich nicht so um Fitness bemühen würde; übrigens eine der unglaublichsten Entdeckungen der letzten 2 Jahre. Es ist eben nicht nur einfach alles so passiert, nur weil ich ein paar Kilos abgenommen habe, sondern ich habe aktiv daran gearbeitet; noch so eine Erkenntnis.

Zudem bin ich zickiger geworden, anspruchsvoller und in vielerlei Hinsicht auch schwieriger, weil ich mich endlich traue für mich einzustehen, die wahre Anke zu zeigen und nicht länger die gemütliche, gutmütige und immer hilfsbereite Dicke gebe – was das Leben nicht gerade leichter macht, schließlich hat man ja mit dem Gewicht nicht auch das eigene Umfeld verloren; zum Glück!

Ist nun also alles besser, leichter und gesünder? Nein, was mich betrifft nicht. Denn ich muss immer noch mit der „alten“ Anke zurechtkommen, meine Fitness beständig fördern und an meinen gesundheitlichen Problemen, auch wenn ich dieser nunmehr in der Regel als schmerzärmer empfinde und durch mein regelmäßiges aktives Eingreifen (Ernährung, Bewegung) einschränke, hat sich Grundlegend nichts geändert.

Trotzdem würde ich um nichts in der Welt mehr zu dem alten Zustand zurückwollen. Schon allein dafür, dass ich mir heute genau DIESES Shirt meiner Wahl, auch wenn ich aktuell, noch eine der größeren Größen wählen muss, kaufen und anziehen kann, war und ist es mir alles wert.

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