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Austieg aus dem Reduktionsdiäten-Karussell

In den Jahren 1995/96, nachdem ich mich zuerst auf 120 kg runter und dann wieder auf 150kg hochditäet hatte, war ich so wütend, so enttäuscht und so frustriert, dass ich damals alle meine Unterlagen und Bücher zum Thema, sowie Diätkochbücher der üblichen Verdächtigen, wie Brigitte, Weight Watchers & Co. sprichwörtlich in die Tonne gekloppt habe und beschlossen mich nie wieder dem Diktat eines vorgeschrieben Ernährungsplanes zur Gewichtsreduktion zu beugen.

Ein harter Weg, denn aus dem Karussell der Reduktionsdiäten auszusteigen war/ist nicht einfach. Zu einen haben Verbote, Einschränkungen und der Kampf um die Kalorien tiefe Gräben bei mir hinterlassen, die mich noch heute prägen. Zu anderen hat die Gesellschaft ein echtes Problem damit Übergewichtige zu akzeptieren, die sich gegen eine Fremdbestimmung ihrer Ernährung wehren und Reduktionsdiäten ablehnen. Reduktionsdiäten werden als die einzig wahre gesehen, um  Übergewicht zu bekämpfen, wer diese Therapie ablehnt, will gar nicht abnehmen und muss sich viel Hohn und noch mehr Belehrungen anhören.

Was einst aus Wut geschah, erkenne ich heute als grundsätzlich richtigen Weg, zumal ich 15 Jahre lang nicht zugenommen und ein Gewicht von 150 kg halten konnte. Abgenommen habe ich natürlich auch nicht (die Gründe dafür beginne ich so langsam zu verstehen), doch schon alleine nicht mehr zuzunehmen war ein Erfolg.

Dann jedoch wurde ich krank und zurück ins Karussell der Reduktionsdiäten geworfen. Ich habe mich vergeblich bemüht dagegen anzukämpfen, doch in Folge einer Kur (2006) und einer Reha (2010), die beide vordergründig Übergewicht behandelt haben und ich entsprechenden Druck bekam mitzumachen, obwohl ich 2006 wegen Depressionen und 2010 zur Regeneration nach einer OP dort war, schraubt sich mein Gewicht auf die aktuellen 190 kg.

Amüsanterweise fühle ich erst, seit ich mich um eine Adipositas-OP bemüht habe, das alte Gefühl der Befreiung vom Reduktionsdiäten-Druck wieder in mir aufsteigen.

Vielleicht liegt es daran, dass ich die Entscheidung für eine OP ganz alleine getroffen habe. Auch was meine Ernährungsumstellung betrifft, habe ich für mich selber recherchiert und mir selber überlegt, was ich tun kann und was ich ändern will. So folge ich keinem fremdbestimmten standardisierten Plan mehr, sondern bin selber für mich verantwortlich und kann ganz individuell auf meine Bedürfnisse eingehen.

Dem zugrunde liegt aber auch, dass ich aus der Vergangenheit gelernt habe, nicht mehr alles einfach zu akzeptieren, sondern Anweisungen (vor allem von Ärzten, Therapeuten und Beratern) auch mal infrage zu stellen und ggf. über ihre Empfehlungen hinweg, für mich zu variieren.

Dann habe ich auch viel Glück gehabt, dass ich eine Ernährungsberaterin gefunden habe, der klar ist, dass zu viel Essen und vor allem ohne körperlichen Hunger essen, nicht mit Ernährungstabellen geheilt werden kann, sondern dass sie auf einen solchen Esser in ihrer Beratung anders eingehen muss. Sie macht wirklich einen toll Job und ich bin sehr glücklich sie an meiner Seite zu wissen.

Das, was ich noch jedoch noch brauchte, war ein Motto für mich, dass meine Bemühungen nicht nur weiter führen sollen, sondern auch auf die nächste Stufe heben. So bedeutet für mich “Eat for Energy, not for Comfort” nicht nur das offensichtliche und wortwörtliche, sondern auch Ernährung ihren Stellenwert wiederzugeben, herauszufinden, was mich eigentlich antreibt zu viel und vor allem ohne körperlichen Hunger zu essen, gegenüber mir und meinem Körper die Achtsamkeit zu üben, die ihm gebührt und erneut gegen alte Reduktionsdiät-Denkmuster anzugehen. Ich will Lebensmittel wieder wertfrei beurteilen können und für mich ein gesundes Verhältnis von „Energy“ und „Comfort“ herzustellen.

Essen bedeutet, dem Körper die lebenswichtige Energie zuführen, die er braucht um möglichst Optimal zu funktionieren. Aber Essen ist Genuss, Wohlbefinden und es kann definitiv ein Vergnügen sein. Doch seit Kindertagen als Ventil für Gefühle und Empfindungen jeder Art missbraucht, hat die Nahrungsaufnahme für mich heute keinerlei Bedeutung als Energielieferant, sondern ist allein aufs scheinbare Wohlbefinden fokussiert. Und genau hier will ich ansetzen.

Denn mehr als jemals zuvor, glaube ich fest daran, dass wenn sich die aufgeführten Punkte im Gleichgewicht befinden, sich das Gewicht eines Menschen ganz natürlich bei einem gesunden Maß einpendelt. Das ist mein Ziel.

Eine kleine Anmerkung:

Ich habe diesen Text noch vor OP geschrieben und  bevor ich mit Kalorienzählen, nachdem ich „Fettlogik überwinden“ gelesen hatte, meinen uHu erreicht habe. Ich bin also in den Jahren später erneut an eine Kalorienreduktions-Diät „geraten“.

Doch tatsächlich in einem ganz anderen Kontext; nämlich den eines aufgeklärten und informierten Anwenders. Sicher auch dann noch habe ich meine Fehler gemacht. Sie waren jedoch nicht mehr aus der Ohnmacht heraus zu glauben, man sei „ein Verlierer zu sein, der Diäten nicht durchhält“ geboren.

Siehe dazu: Fettlogik überwinden / Fettlogik-Experiment

Grundsätzlich glaube ich noch immer, dass Ernährung und Essen intuitiv sein sollte. Und wenn es das ist, auch ein natürliches und gesundes Gewichtsmanagement kein Thema ist. Jedoch mit einer Geschichte im Nacken, die auf Jahrzehnte langem Missbrauch von Nahrungsmittel und Diäten basiert, ist das, finde ich, eine große Herausforderung.

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