Ich bin verzweifelt.
Von Erfolgen und Misserfolgen.
Nein, ausnahmsweise bin mal nicht ICH verzweifelt, Tatsächlich geht es mir im Moment ausgesprochen gut, sondern diese Worte erreichten mich von einer lieben Freundin. Auch sie hat, in ihrem noch relativ jungen Leben, schon ein Rauf und runter im Gewichts-Karussell gedreht. Sie wird von einer Anzahl an Erkrankungen begleitet, die die Sache nicht gerade besser machen, hatte über Jahre ein Magenband, was ihr zwar Anfangs gewichtsmäßig super geholfen hat, letztendlich sie jedoch mal so richtig krank gemacht hat. Und hat auch schon eine Adipositas-OP erwogen, bisher den Gedanken jedoch nicht in die Tat umgesetzt und auch nicht geplant, das in näherer Zukunft durchzuziehen.
Vielmehr hat sie sich ihren ganz eigenen „Diät“-Plan zusammengestellt, proteinreich und fettarm, in der Art einer PSMF (protein-sparing modified fast), ohne zu ahnen, dass ihre Diät eine so schicken Namen hat, und für eine lange Zeit sehr motiviert und sehr strickt durchgezogen. Und super Erfolge gefeiert.
Doch wie das mit dem Leben immer so ist, irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man einfach so nicht mehr weitermachen kann. Ich kenne das von mir selber nur allzu gut. Wenn man sich zu lange strikten Ernährungsregel unterzogen hat, egal wie motiviert man war, geht das früher oder später ins Auge.
Ich bin heute mehr als je der Überzeugung und glaube auch endlich die Gründe dafür verstanden zu haben, dass sich stark Übergewichtige, allerhöchstens für die Vorbereitung auf eine OP in Crashdiäten werfen sollten. Ich denke, dass es einiges an Übung und Erfahrung benötigt um (zeitgrenzte) Crash-Diäten oder Mini-Cuts geschickt und zum persönlichen Nutzen einzusetzen.
Und ich denke, dass man sie genauso umsichtig ausschleichen lernen muss, wie man sie diszipliniert beginnt. Vor allem aber muss man umgehen können, dass man u.U. nach einer solchen etwas schlankeren Phase wieder an Gewicht zulegt; was man dann wieder in einem Mini-Cut ablegen kann, usw.
Und hier ist schon einer der Harken eines solchen Diät-Kreislaufes. Er mag durchaus funktionieren, doch zb. mit dem Gedanken: naja, was ich zugenommen habe, kann ich auch wieder abnehmen, kann ich immer noch nicht umgehen. Ein Plus an Gewicht ist für mich der (Fress-Attacken-)Weltuntergang schlechthin.
Aber zurück zu meiner lieben Freundin. Ich bin verzweifelt. Während mein Mann noch hin und her überlegte, warum es ihr nicht gut ginge, typisch mein Mann, war für mich die Aussage deutlich, irgendetwas hat sie aus der Bahn geworfen, vermutlich sogar nur eine Kleinigkeit, sie ist essenstechnisch eskaliert und hat zugenommen.
Wie reagiert man auf Hilferufe dieser Art?
Meine erste Reaktion war zu sagen, ach, ist doch alles nicht so schlimm, das wird schon wieder. Aber zum Glück konnte ich verhindern.
Sicher, wenn ich rum jammere, dann ist es für mich okay, auch ein wenig bedauert zu werden, aber tatsächlich will ich Lösungen, und zwar solche, die sofort funktionieren.
In der Ernährung und in der Diät gibt es das nicht. Denn „Körpergewicht ist eine Langzeitregulierung. Und die bereitet gerade (ehemaligen) Übergewichtigen, die größten Probleme“, habe ich letzt‘ irgendwo gelesen. Und es stimmt.
Letztendlich habe ich es dabei belassen ihr anzubieten, sich beim mir auskotzen zu können und sich ihren Frust von der Seele reden zu können. Ganz ohne meine „klugen“ Bemerkungen.
Denn, ich hasse das, das Erfolge, ich beziehe mir hier im Besonderen auf Abnehm-Erfolge, so hoch gefeiert werden und in der Regel wortreich beglückwünscht: Oh, du hast abgenommen. Du siehst toll aus. Ich fand das immer furchtbar; zum Glück hat das mittlerweile aufgehört, weil mein Gewicht für meine Mitmenschen zum Alltag geworden ist.
Und nicht selten mit einer guten Portion verstecktem Neid kommentiert: Wie hast du das den gemacht? Mh, du siehst ja schon ein bisschen eingefallen im Gesicht aus, oder? Jetzt hast du aber genug abgenommen, weniger darf es nicht werden? Nicht, dass du in die Magersucht rutschst, … zu viel Sport ist auch nicht gut … zu wenig Essen darfst du aber auch nicht.
Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.
Oskar Wilde
Misserfolge – ich nenne sie lieber „Umwege“ – dürfen nicht kommentiert werden, dafür aber mit abschätzigen Blicken und noch abschätzigeren Gedanken begleitet werden, die dem anderen förmlich auf die hämische Stirn geschrieben stehen. Habe ich es dir nicht gleich gesagt, dass du zu wenig gegessen hast? Sie enden im stillen Rückzug, in der Depression, in einem Fall ins tiefe Emotions-Loch; weshalb ich beschlossen habe, damit offen umzugehen. Ja, ich habe zugenommen. Und nein, ich bin nicht zufrieden damit, aber für den Moment habe ich es akzeptiert.
Ich habe übrigens auch versucht meiner Freundin Respekt für ihre Diät-Erfolge zu zollen. Indem ich diese anerkannt habe und auch gelobt, sie aber vor allen im Weitermachen bestärkt. Aber damit auch gut. Ich mag sie mit +Kilo, genauso wie mit –Kilo. Weil ich sie mag. Und natürlich möchte ich, dass sie sich wohlfühlt und glücklich ist. Doch ihr Körpergewicht ist für mich letztendlich irrelevant. Und das habe ich versucht ihr zu zeigen. Es war nicht ganz einfach, dabei nicht in die üblichen Phrasen zu verfallen, doch ich hoffe, dass mir das gelungen ist.