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Rohkost ist auch keine Lösung!

Ich werde immer wieder von Müttern darauf angesprochen, wie sie wohl am besten die Ernährung für ihre übergewichtig gewordenen Kinder gestalten könnten. Sehr oft begegnet mir dabei dieselben hilflos-wirkenden Versuche, denen auch ich ausgesetzt war. Und ich verstehe das. Zum einen ist es nie einfach sich in die Situation von jemand anderem zu versetzen, zum anderen sind wir alle von fatalen Ernährungs-Mythen und Missverständnisse tief geprägt.

Aktuell geht mir wieder einmal eine solche Unterhaltung im Kopf herum und sie führt mir auch meine Denkfehler vor Augen, denn Rohkost ist nun mal auch keine Lösung.

Gurken, Tomaten, Radieschen, Karotten & Co, als auch (rohes) Obst, gelten als gesunde Snacks und werden nahezu in jeder Diätform und vom Volksmund allgemein als „erlaubter“ Zwischensnack angepriesen und gehandelt. Es ist einer der ersten Diät-Tipps auf ein Abnehmwilliger aufmerksam gemacht wird. Und auch ich habe Jahrzehnte an der Idee des „gesunden Snackens“ festgehalten.

Und sicher, rein kalorisch ist Rohkost eine Alternative zum „Nutella löffeln“ und das mag vielleicht auch für die aufgehen, die im Frühjahr ihre Bikinifigur für den Sommer erhalten wollen, sprich für einen begrenzten Zeitraum mag dieses Umlenken funktionieren. Doch für Adipositas-Patienten, wie mich, der ich ein langjähriges starkes Übergewicht loswerden und langfristig einen gesunden Lifestyle pflegen möchte, funktioniert das so nicht. Denn wer wird schon (für immer) rohe Karotten knabbern, wenn der ständige Schrei im Kopf nach Nutella verlangt? Karotten statt Nutella, hat bei mir stets in Karotten UND Nutella gemündet, gefolgt von der nächsten Mahlzeit.

Problem No. 1 Snacks

Meine Snacks, sind und waren, noch nie Snacks, sondern nahezu ausschließlich ganze Mahlzeiten. Mir immer wieder gut zureden, dass alles was ich zwischen Mittagessen und Abendbrot zu mir nehme, ja nur Snacks seien, war (und ist) fatal und für mich, heute, so so schwer aus dem Kopf zu bekommen.

Dabei hatte ich das Problem nicht, bevor ich mit meiner Diätkarriere angefangen habe. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich als Kind oder Teen je zwischen den 3 täglichen Mahlzeiten gegessen hätte; ausgenommen vielleicht beim gemeinsamen Kaffee & Kuchen am Wochenende.

Für mich hat Snacken erst dann an Bedeutung gewonnen, nachdem ich angefangen hatte meine Mahlzeiten kalorisch-restriktive zu begrenzen und viel zu oft hungrig, die Zeit von einer Mahlzeit zur nächsten überstehen zu müssen, hat mich so tief geprägt, dass ich bis heute nur selten wahrnehme, wenn ich mir etwas in den Mund stecke. Anstelle mich mit „nähr-reichen“ Lebensmittel endlich einmal satt und genährt zu fühlen, bin ich den meist industriell-hergestellten, Zucker und Fetthaltigen, Genüssen verfallen.

Problem No. 2 Erlaubnis

Rohkost ist gesund, in der Regel kalorienarm und allgemein als Diätkonzept akzeptiert, deswegen herrschte bis vor kurzem in meinem Kopf die „Erlaubnis“ vor, dass ich, solange es nur Rohkost ist, soviel essen darf, wie ich will und wann immer ich will.

Dieser Glaubenssatz hat im Laufe der Zeit selbstverständlich „Geschwister“ bekommen: Hauptsache es ist low carb! Und zwischendrin genossen, ja eh nur ein Snack.

Eine weitere „Erlaubnis“ für viele kleine Mahlzeiten aka Snacks am Tag ist mir mein Schlauchmagen geworden, schließlich muss man ja bei kleinerem Magen-Volumen öfters essen, oder? Problem nur, dass das vielleicht für die Zeit nach der OP funktioniert haben mag, heute jedoch befördert es meine Tendenz zum Zwischendrin essen.

Erlaubnisse sind meine Ausflüchte geworden, in einer Essenswelt, die so sehr von erlaubt und nicht erlaubt, Gut und Böse, kalorienreich und kalorienarm lebt. Von Hunger und Völle. Von Sturm im Kopf und wohltuender Betäubung.

Problem No. 3 Kohlenhydrate

Heute ist es für mich amtlich, ich und mein Körper sind Kohlenhydrat-Junkies. Mein Kopf will sie zur Entspannung, für einen kurzen Moment des Kicks und mein Körper wandelt sie nicht nur sofort in Körperfett um (was soll er auch sonst damit tun? Schließlich hat er viele leere Fettzellen zu füllen und grundsätzlich ausreichend Kalorien zur Verfügung; wäre ich unterkalorisch wäre die Situation eine andere), sondern verlangt, die Eintracht mit meinem Kopf, auch umgehend mehr davon.

Problem No. 4 Nährstoffdefizite

Auch wenn ich es immer glauben wollte, aber heute bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob Obst und Gemüse tatsächlich die Nährstoffe liefern die wir, bzw. ich benötige. Insbesondere so lange meine Ernährung einen sehr guten Anteil an hochindustriell verarbeiteter kohlenhydratreicher Nahrung hatte. Nachdem ich erkennen durfte, mit welchen Nährstoff-Defiziten mein damals 200 kg schwerer, mit täglich etlichen Kalorien gefüllten Körper, der immer sein Gemüse gegessen hat, hat umgehen müssen, wird mir immer klarer, dass das mit dem „gesunden Gemüse“-Gedanken nicht so weit her sein kann.

Insbesondere, wie mir unlängst wieder einmal vor Augen geführt wurde, sich dauerhaft mit Gemüse satt essen oft genug dazu führt, dass lebensnotwendige und zum Abnehmen ungemein wichtige Proteine und Fette vernachlässigt werden.

Problem No. 5 Gesundheitliche Einschränkungen

Hätte ich es gedacht, dass mir Rohkost gar nicht so gut bekommt, wie ich immer angenommen habe? Was als gesund gilt, kann doch nicht schlecht für mich sein? Seit ich im September 2019 Bekanntschaft mit der TCM (traditionelle chinesische Medizin) gemacht habe, die Rohkost nicht empfiehlt, habe ich die Gemüse-Rohkost konsequent aus meiner Ernährung gestrichen. Mit meiner Umstellung Anfang 2020 auf low carb fiel dann auch (erneut) der allergrößte Teil (rohes) Obst aus meiner Ernährung heraus.

Rohes Obst und Gemüse gilt nach TCM als kühlend und befeuchtend. Was für die TCM bedeutet, dass wenn man, wie ich, an kalten Füßen und häufigem Frieren leidet, an Durchfall und breiigem Stuhl oder an Ödemen und Übergewicht (so wie verschleimten Lungen) von Rohkost abgeraten wird.

ZU diesem Zeitpunkt finde ich, es ein wenig schwierig zu beurteilen, ob sich das Weglassen der Rohkost bereits positiv auf meine Gesundheit ausgewirkt hat. In Kombination mit low carb hat es mich definitiv wieder auf den erfreulichen Stand vor 3-4 Jahre gehoben, bevor ich die Kohlenhydrat-Leiter wieder Stück für Stück nach oben geklettert bin.

Interessant ist auch, dass ich sie (im Zusammenhang mit meiner wiedererlangten low carb Ernährung) als Snack überhaupt nicht mehr vermisse. Ich denke heute sogar, dass ich sie womöglich gar nicht so gerne mochte und freiwillig vielleicht gar nicht so exzessiv genossen hätte, sondern einfach nur deswegen genutzt, weil sie erlaubt war.

Rohkost ist keine Lösung

Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich heute niemandem mehr Rohkost, ob als Gemüse oder Obst, als Snack empfehlen würde. Vor allem nicht Adipositas-Patienten – egal welchen alters. In erster Linie, weil ich die Gewohnheit von Snacks fatal finde und in zweiter, weil das dauerhafte „Schnabulieren“ zb. von Fruchtzucker eine Fettleber fördert und ein paar Gurken nun mal eben nicht sättigen. Und die Argumente der TCM kann ich auch nicht ganz von der Hand weisen.

Mein Ansatz ist ein unbequemer und aufwendiger Weg; vor allem für Eltern, die diesem Weg als Vorbild mit ihren Kindern gleichsam erkunden müssen. So scheint meine Empfehlung einfach, sich auf „echte“ Nahrungsmittel (nur Lebensmittel, die keine Zutatenliste haben) konzentrieren, so zubereitet, wie es unsere Ur-Großmütter getan haben und Obst und Gemüse Saisonal (also zur Erntezeit in unseren Breitgraden) genießen.

Ist er aber nicht. Wenn man erst einmal Jahre in eine andere Richtung gelaufen ist, dann ist es nie einfach umzukehren. Ich weiß von was ich rede, denn, obwohl ich davon überzeugt bin, dass es die einzige richtige langfristige Lösung für mich ist, so kämpfe ich täglich damit, auf diesem Weg zu bleiben. Und wenn ich das noch nicht mal für mich schaffe, wie will ich, dass dann so einfach für andere schaffen?

Disclaimer

An dieser Stelle ist ein kleiner Disclaimer angebracht, damit nichts falsch verstanden wird: es geht mir in diesem Beitrag nicht um „gesund“ oder „nicht gesund“, um Rohkost oder nicht, sondern um das Konzept „Rohkost als Snack“ im Zusammenhang mit einer dauerhaften Ernährungsumstellung zum Zweck langfristiger und nachhaltiger Abnahme bei starkem Übergewicht.

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