Neue Gedankengänge zur Adipositas-OP
Heute werde ich immer ein bisschen ärgerlich, wenn mir Mythen über Adipositas-OPs begegnen. Vielleicht, weil ich selber lange genug an diesen Aussagen festgehalten habe?
Doch wie soll man die Erfahrungen und das gesammelte Wissen, aus 6 Jahren nach OP, an andere vermitteln? Das ist fast nicht möglich, ohne dabei nicht die ein oder andere Sache zu verklären. Vor allem, weil wir alle allzu bereit sind an Wunder zu glauben.
Was ich früher über eine Adipositas-OP gedacht habe:
Frei nach dem Motto: wer schön sein will, muss leiden oder wenn es nichts kostet, dann ist es auch nichts wert, stand für mich fest, dass wer eine Adipositas-OP wählt, sich für den einfachen Weg entscheidet – ein Verlierer eben, der es nicht anders schafft. Wenn ich einmal abnehme, dann muss das auf die harte Tour geschehen, denn nur dann kann ich stolz darauf sein.
Auch das „bloß nicht zu schnell an Gewicht verlieren“ war ein Punkt, den ich in meinem Kopf gegen Adipositas-OPs angeführt habe. Nach einer Adipositas-OP nehme ich zu schnell, zu viel ab, schlage zu viele (Haut-)Falten und der JoJo-Effekt lässt dann sowieso grüßen.
Auch „nichts „Richtiges“ mehr essen können“ war eine Angst von mir. Denn, nach einer Adipositas-OP kann ich mich nur von „Astronauten“-Nahrung ernähren und ich muss mein Leben lang Nährstoffe supplementieren.
Und mit einer Adipositas-OP zerstöre ich „gesunde“ Organe (Magen, Darm).
Was ich mir (damals) von einer Adipositas-OP erhofft habe:
Die ehrlich Antwort: Trotz der aufgeführten Argumente und der Gefahr als Verlierer dazustehen, war eine Adipositas-OP für mich mit Glück, Zufriedenheit und ein langes Leben verbunden. Auf ewig und immer schlank zu sein. Schnipp-Schnapp, einmal kurz das Messer ansetzten und alle Sorgen und Nöte wegschneiden. Von Sofa aus gemütlich abnehmen und sich um nichts kümmern müssen. Ein Sorgenfreies Rundumpaket.
Warum ich mich vor 6 Jahren trotzdem für eine Adipositas-OP entschlossen habe:
Alles das schoss mir in jenem heißen Spätsommer, im Jahr 2013, durch den Kopf, als ich am Ende meiner Kräfte war. Ich körperlich und seelisch zu tiefst erschöpft. Ich kannte nur noch zwei Optionen: entweder ich fresse mich zu Tode oder klammere mich an Hoffnung.
Aufgrund der vielen vorangegangen und misslungen Versuche, wusste ich, dass der konventionelle Weg abnehmen zu wollen, so wie er von unserem Gesundheitssystem gefördert wird, für mich nicht funktioniert. Mehr noch, um mich erneut mit dem Thema Abnehmen auseinander zu setzten, brauchte es unkonventionelle Unterstützung.
Und am Ende hätte es ohne eine Entscheidung für eine Adipositas-OP, vermutlich auch keine grundlegende Ernährungsumstellung für mich gegeben. Deswegen ist es müßig sich zu fragen, ob ich es (hätte ich einen, für mich machbaren Weg damals schon finden können) auch ohne OP geschafft hätte.
Was ich heute über eine Adipositas-OP denke:
Ich würde diesen Weg immer wieder gehen. Zumindest so lange bis sich eine Alternative dazu etabliert hat, die allen (wie in meinem Fall) stark Übergewichtigen zugänglich gemacht wird. Dazu braucht es Zugang zu Informationen über Biologie, Ernährung und Medizin, die auf langjährige Übergewichtige zugeschnitten ist und sich nicht an den Standards „gesunder aka normalgewichtiger“ Menschen orientiert.
Heute ist mir klar, welcher Unsinn es ist, zu glauben, dass nur die „Harten in den Garten“ kommen, sprich, dass Adipositas-OP-Patienten Verräter an „ehrlichen“ Abnehmwilligen sind und solche Methoden nur was für Feiglinge und Willensschwache. Ebenso wie der Quatsch, von wegen Übergewichtige sind undiszipliniert, faul und dumm.
Absolut jeder, der langjährig übergewichtig war und der umfangend an Gewicht verliert, wird irgendwann im Laufe seines Weges hängende Haut sein eigene nennen. Sicher, eine proteinreiche Ernährung und Kraftsport kann sehr hilfreich sein, das habe ich selber bei mir erlebt, doch irgendwann erreichen auch diese Möglichkeiten ihr Ende. Und ja, auch ich bin unglücklich mit meiner hängenden Haut. Und ja, es gibt immer wieder gesundheitliche Probleme damit (Entzündungen). Aber ist sie nicht das allerkleinste Problem? Überwiegen den die Vorteile nicht?
„Bloß nicht zu schnell abnehmen“, sonst lässt der Jojo-Effekt grüßen. Wenn man 192,7 kg hat, dann kann man nicht schnell genug abnehmen. 192,7 kg langsam abzunehmen braucht Jahre. Jahre, die ich nicht mehr verlieren wollte. Und der gefürchtete Jojo-Effekt erreicht uns nur dann, wenn wir nach der Abnahme wieder in alte Gewohnheiten verfallen, so wie es mir passiert ist, als ich die Kohlenhydrat-Leiter wieder hochgeklettert bin.
Nicht mehr „richtig“ essen können, bedeutet heute für mich, dass es für mich technisch nicht mehr möglich ist mich in dem Umfang zu überfressen, wie ich es früher konnte. Nicht mehr „richtig“ essen können, bedeutet für mich, dass ich heute freiwillig und mit Genuss, alles das aus meiner Ernährung lasse, was mir nicht guttut. Nicht mehr „richtig“ essen können, hatte für mich nur kurze Zeit Bedeutung, als ich am Tisch saß und dabei zusehen musste, wie meine Familie weiter vor sich hin schwartet und ich nicht mehr konnte, weil mein Schlauchmagen (in den Monaten nach OP) schon nach ein paar Bissen am Limit war. 6 Jahre nach OP habe ich endlich das Gefühl „normal“ zu essen. Und endlich esse ich auch das „Richtige“. Und ja, ich supplementiere Nährstoffe; doch das hätte ich bereits als stark Übergewichtige machen sollen. Nie war ich so stark mangelernährt, wie mit 192 kg.
Ja, eine Operation hat ihre Risiken und individuelle gesundheitlichen Folgen, sowie ein umfangreicher Gewichtsverlust sind für Körper und Geist nicht absehbar. Ich persönlich hatte bisher keine Probleme und für mich haben (bisher) die Vorteile überwogen. Tatsächlich kenne ich eine Reihe an Operierten, die diesen Schritt (vor allen aus gesundheitlichen Gründen und Folgeerkrankungen) bereuen. Aber auch Patienten, die nach der OP abgenommen und dann im selben Maße auch wieder zugenommen haben.
Was die Adipositas-OP für mich getan hat?
Eine Adipositas-OP ist kein Garant für ein dauerhaft schlankes, gesundes und/oder glückliches Leben. Als Ex-stark Übergewichtige, muss ich nach wie vor jeden Tag kämpfen. Wann immer ich mich bisher zurückgelehnt habe, weil ich glaubte, am Ziel zu sein oder keine Kraft mehr zu haben, bin ich sofort wieder in alte Verhaltensweisen und Glaubenssätze abgerutscht – was immer im Zusammenhang mit einer Zunahme stand.
Ich habe Entwicklungen durchlaufen, die sowohl beängstigend, als auch wunderbar waren. Und ich lerne immer noch jeden Tag etwas dazu und ich nehme es begeistert an. Am Ende lagen die entscheidendsten Veränderungen für mich nicht in meiner Abnahme, obwohl das natürlich auch seinen Beitrag geleistet hat, sondern in meiner persönlichen Entwicklung.
So ist mein Leben nicht einfacher geworden. Und doch hat es die Adipositas-OP einfacher gemacht.